Heidenheimer Neue Presse

Roman Joachim B. Schmidt: Kalmann (Folge 37)

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„Tja“, sagte er. „Es kommt der Moment, wo Raufarhöfn ausstirbt. Einer nach dem andern. Der Letzte macht bitte schön das Licht aus!“

„Hör nicht auf ihn!“, sagte Óttar und schaute mich an. Vielleicht hatte ich erschrocke­n geguckt, ich weiß es nicht, aber nun merkte ich, dass Siggi wahrschein­lich nur Spaß gemacht hatte, weshalb ich lachen musste. Er hatte mich ganz schön erwischt!

„Auf Róbert Mckenzie!“, sagte Siggi, hob sein Glas und trank. Dann stellte er das Glas ab, gab einen kleinen Rülpser von sich und sagte: „Ich habe mich ja immer gefragt, woher er seinen Namen hat. Mckenzie. So heißt man doch nicht!“

„Er hat sich den Namen selber gegeben“, murmelte Óttar, als wollte er es eigentlich gar nicht gesagt haben.

„Hat er das?“Siggi machte große Augen und rülpste gleich noch mal. „Bist du sicher?“

„So sicher wie sein Schweizer Bankkonto!“

„Wieso hab ich das nicht gewusst? Wie heißt er denn richtig?“

„Keine Ahnung. Er war aber sicher jemandes Sohn!“

Das fand Siggi lustig, und er lachte laut. Ich lachte auch.

„Es gibt solche, die wollen mit ihren Vätern nichts zu tun haben, nicht wahr?“Siggi schaute mich an. „Wie geht’s eigentlich deinem Großvater? Lebt der Rabauke noch?“

Ich nickte.

„Ja, in Húsavík.“

„Ich weiß wohl, dass er in

Húsavík steckt!“, sagte Siggi beleidigt. „Und da kann er auch bleiben, dieser verdammte Kommi.“

„Siggi“, sagte Óttar, aber mehr nicht.

„Nein, ganz ehrlich, und ich habe überhaupt nichts gegen dich, Kalmann, du bist ein prima Typ, ein ganz Feiner. Aber wenn Óðinn noch hier in Raufarhöfn wäre, würde ich ihn höchstpers­önlich bei der Polizei anzeigen, denn niemand sonst hätte Róbert umbringen wollen.“

„Óðinn hat sein ganzes Leben lang keiner Fliege etwas zuleide getan“, verteidigt­e Óttar meinen Großvater, und dafür war ich ihm dankbar.

„Jetzt übertreibs­t du aber!“„Zumindest hat er niemanden umgebracht.“

„Was ist ein Kommi?“, fragte ich. Wenn man etwas nicht versteht, muss man eben fragen. Siggi lachte.

„Ein Kommi ist ein Russenfreu­nd, einer, der nicht will, dass es reiche Leute gibt, verstehst du? Ein verdammter Sozi eben!“

„Ein Kommi ist ein Kommunist“, sagte Óttar und füllte sich einen zweiten Gin Tonic ab.

Nadja huschte neben uns in die Küche, öffnete die Schwingtür mit dem Rücken, balanciert­e dabei ein Tablett voll schmutzige­m Geschirr vor sich und schaute mich im Vorbeigehe­n ganz kurz an, lächelte aber nicht. Sie hatte bestimmt viel zu tun. Ich war stolz, dass sie rübergesch­aut hatte, schließlic­h führte ich ein erwachsene­s Gespräch unter erwachsene­n Männern. Siggi war mit den Kommis noch nicht fertig:

„Kommis wollen, dass es allen schlechtge­ht, nicht wahr, Óttar?“

„Schon wahr“, sagte dieser. „Das Gegenteil von Kapitalism­us.“

„Alles schön verteilt. Alle gleich arm. Diejenigen, die für ihren Reichtum ehrlich geschuftet haben, werden –“Siggi schaute mich an, streckte die Zunge schräg aus seinem Mund und schnitt sich mit dem Daumen die Kehle auf. Ich wusste nun genau, was ein Kommi war.

„Wie Robin Hood!“, sagte ich. Siggi starrte mich an, und Óttar lachte laut.

„Du hast es begriffen!“, lobte er mich.

Es hatte aufgehört zu schneien, und die Sterne über Raufarhöfn funkelten. Es war saukalt.

Vielleicht würde das Eis auf dem Teich wieder so dick werden, dass man Steine drauf werfen konnte, die dann abprallten und wegrutscht­en; etwas, das ich sehr gerne machte.

Wenn Róbert noch irgendwo da draußen gewesen wäre, hätte er die Nacht nicht überlebt. Auf dem Nachhausew­eg fragte ich mich, ob ich wie Großvater auch ein Kommi war. Wahrschein­lich schon. Dabei sah ich mit meinem Cowboyhut gar nicht wie ein Kommi aus. Eher wie ein Amerikaner, und die sind Kapitalist­en. In Amerika gewinnt der Stärkere. Der Schwächere ist da einfach nicht stark genug und muss sich hinten anstellen, bleibt aber immer hinten.

Fortsetzun­g folgt © Diogenes Verlag Zürich

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