Heidenheimer Neue Presse

Worum es geht

- Roland Muschel zur Bedeutung der Landtagswa­hl leitartike­l@swp.de

An diesem Sonntag geht ein beispiello­ser Landtagswa­hlkampf zu Ende. Kein Auftritt von Politikern vor Menschenma­ssen, kein Händeschüt­teln der Kandidaten mit potenziell­en Wählern, kein Schlagabta­usch vor Live-publikum. Das allseitige Loblied auf die Möglichkei­ten der sozialen Medien kann über die Schwächen nicht hinwegtäus­chen, die dieses den Pandemie-bedingunge­n geschuldet­e virtuelle Kräftemess­en hat: Likes und digital versendete Herzchen können den direkten Austausch mit den Bürgern auf dem Wochenmark­t oder das Raunen im Saal als Seismograf für gesellscha­ftliche Befindlich­keiten nicht ersetzen. Digitale, aus nachgestel­lten Studio-wohnzimmer­n ausgestrah­lte Formate können die Nähe nur simulieren, die Politik auch benötigt, um das Ohr am Bürger zu haben. Bei künftigen Wahlen wird hoffentlic­h beides gleichbere­chtigt möglich sein, der klassische Haustürwah­lkampf und die digitale Zielgruppe­nansprache.

Corona hat nicht nur die Bedingunge­n des Wahlkampfs diktiert, sondern auch die Inhalte. Natürlich müssen die Parteien ihre Positionen zu dem alles überragend­en Top-thema Corona, das tief in den Alltag aller Bürger eingreift, strittig herausarbe­iten. Alles andere ginge an der Lebensreal­ität und auch an den Bedürfniss­en des Gros der Baden-württember­ger vorbei. Die starke Fokussieru­ng hat aber eine große Kehrseite: Sie droht die Themen zu überlagern, die in nächsten fünf Jahren größere Bedeutung haben werden als die tagesaktue­llen Corona-aufwallung­en um den richtigen Mix der Perspektiv-instrument­e Impfen, Testen, Öffnen.

Die Politik in Stuttgart steht oft im Schatten der Entscheidu­ngen in Brüssel und Berlin. Aber gerade die Pandemie hat gezeigt, dass im föderalen

System die Länder starke Kompetenze­n haben. So gerne Kanzlerin Angela Merkel (CDU) der Corona-politik ihren Stempel aufgedrück­t hätte – ohne die Zustimmung der Ministerpr­äsidentenr­unde ist sie bei den Pandemie-maßnahmen machtlos. Zur Wahl steht indes nicht so sehr das Verhältnis von Berlin und Badenwürtt­emberg, es geht viel mehr darum, wer künftig die Weichen für Kernbereic­he des Landes stellt.

Welche Schultypen sollen gefördert, wie viele Lehrer eingestell­t werden? Welche Kompetenze­n soll die Polizei haben, wie präsent im Straßenbil­d sein? Muss auf jedes Wohnhaus

Kostenlose Kitas, Fotovoltai­kpflicht? Die Landespoli­tik ist für viele alltagsnah­e Fragen zuständig.

eine Fotovoltai­kanlage, soll die Gebühr für die Kitas entfallen? Für all diese alltagsnah­en Fragen ist die Landespoli­tik primär zuständig. Die künftige Regierung wird Antworten auf die Herausford­erungen des Klimawande­ls finden müssen, aber auch auf den Strukturwa­ndel der Automobili­ndustrie. Sie wird den Mangel an bezahlbare­n Wohnungen in den Ballungsrä­umen angehen müssen, aber auch die Frage, wie die Krankenhau­slandschaf­t den Anforderun­gen einer älter werdenden Gesellscha­ft gerecht werden kann. Es lohnt sich also, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen – und vor der Entscheidu­ng nicht nur die Tagespolit­ik oder die Strahlkraf­t der Spitzenkan­didaten zu wägen, sondern auch die Inhalte der Wahlprogra­mme.

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