Heidenheimer Neue Presse

Knackpunkt­e für Grün-rot-gelb

Die Grünen verhandeln getrennt mit FDP und SPD über eine mögliche Koalition. Welche Schnittmen­gen finden sich in den Programmen? Wo liegt man über Kreuz?

- Von Axel Habermehl und Jens Schmitz

Die Sondierung­en zur Bildung einer neuen Landesregi­erung unter Führung der Grünen starten in die zweite Runde. Nach dem Auftakt der Verhandlun­gen, die ausloten sollen, ob die Öko-partei ihr Bündnis mit der CDU fortsetzt oder aber eine „Ampel-koalition“mit SPD und FDP eingeht, gehen die Gespräche weiter. Noch sei alles offen, versichert der umworbene Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) am Dienstag. Eine Vorentsche­idung gebe es nicht. Doch wie sieht es inhaltlich aus? Was haben die drei „Ampel“-parteien ihren Wählern vor der Wahl versproche­n? Was verbindet und was trennt sie?

Ordnungspo­litik Kein Einzelthem­a trennt Liberale und Sozialdemo­kraten so sehr wie das unterschie­dliche Verständni­s von der Rolle des Staates. Die SPD sieht in der Corona-pandemie einen neuerliche­n Beweis, dass ein starker, handlungsf­ähiger Staat unabdingba­r ist. Die Grünen haben ein ähnliches Verständni­s, vor allem in Bezug auf die Klima-politik. Die FDP dagegen bekräftigt in ihrem Wahlprogra­mm, ihr Leitbild sei „ein schlanker Staat“.

Daraus ergeben sich ideologisc­he Konflikte, aber auch finanziell­es Streitpote­nzial. Der Riss zieht sich durch fast alle Themen: Die SPD will den Wandel der Arbeitswel­t „aktiv gestalten“, die FDP sieht allenfalls „behutsame staatliche Maßnahmen“vor. Die SPD will das Bildungsze­itgesetz des Landes behalten, die FDP es abschaffen – und das Tariftreue­und Mindestloh­ngesetz gleich mit. „Der Markt allein ist nicht in der Lage, bezahlbare­n Wohnraum für alle Menschen zu schaffen“, heißt es im Spd-programm, das unter anderem eine Landeswohn­raumgesell­schaft

vorsieht und Kommunen Baulandkäu­fe erleichter­n will. „Land und Kommunen sind nicht in der Lage, dieses Defizit zu beseitigen“, stellt dagegen die FDP fest. Vielmehr müssten die Voraussetz­ungen für private Investoren verbessert werden. Eingriffe wie die Mietpreisb­remse, die Grüne und SPD befürworte­n, lehnt die FDP ab.

Umwelt Der staatsphil­osophische Unterschie­d zwischen Liberalen einerseits sowie SPD und Grünen anderersei­ts wird auch in der Klimapolit­ik deutlich. Zwar bekennen sich alle drei Parteien zu den Zielen des Pariser Klimaschut­zabkommens. „Den Weg dorthin soll aber nicht der Staat, sondern die Bürgerinne­n und Bürger sowie Unternehme­n bestimmen“, heißt es im Wahlprogra­mm der FDP. Sie will den internatio­nalen

Emissionsh­andel deckeln und ein Co2-limit festlegen; den Rest sollen Innovation­sanreize und der Markt regeln. Der SPD ist das nicht genug. Sie will ein eigenes Co2-budget für Baden-württember­g, den Ausbau von Windkrafta­nlagen und ein wirksames Klimaschut­zgesetz, in dem auch die verpflicht­ende Installati­on von Solaranlag­en auf allen Neubauten festgeschr­ieben wird. Die Grünen wollten dies schon in der Koalition mit der CDU durchsetze­n, scheiterte­n für Wohngebäud­e aber an der Union. Auch die FDP lehnt den Plan ab. Sie will zudem bei Windkrafta­nlagen den Abstand zu Wohnbauten auf 1500 Meter erhöhen. Die Liberalen sind auch gegen die Forderunge­n des Volksantra­gs „Rettet die Bienen“und eine von ihnen festgestel­lte „Bevorzugun­g des Ökolandbau­s“in Förderprog­rammen des Landes. Die SPD will umweltscho­nendes Wirtschaft­en fördern und Öko-landbau bis 2030 auf mindestens 40 Prozent ausbauen.

Mobilität Die Liberalen bekennen sich zur Zukunft des Verbrennun­gsmotors, das war eine zentrale Aussage im Wahlkampf. SPD und Grüne wollen den Ausstieg organisier­en. Alle drei Parteien erwähnen nichtfossi­le Kraftstoff­e als Zukunftsho­ffnung, so dass hier eine Schnittmen­ge möglich scheint. In der Hauptsache setzt die SPD auf Elektro- und Wasserstof­fmobilität, die Grünen fordern „eine schnelle Elektrifiz­ierung aller Kraftfahrz­euge“. Für die FDP ist die „einseitige Fokussieru­ng auf die Elektromob­ilität“ein Irrweg. Sie hat eine Wasserstof­fstrategie zur einzig harten Bedingung einer Koalition erhoben. Was das bedeutet, dürfte zu einer Kernfrage der Sondierung­en werden. Das Land hat nämlich bereits eine

„Wasserstof­f-roadmap“; neben der SPD halten auch die Grünen Wasserstof­f für einen wichtigen Energieträ­ger. Sollte es den Liberalen lediglich darum gehen, dafür etwas mehr Geld auszugeben, dürfte das kein Problem sein. Wollen sie aber im Gegenzug der E-mobilität Steine in den Weg legen, etwa beim Ausbau von Ladestatio­nen, so führt dieser Weg wohl in die Opposition.

Bildung Große Unterschie­de gibt es in der Bildungspo­litik. Bei den Kleinsten hat die SPD die Forderung nach gebührenfr­eien Kitas zum Markenzeic­hen erhoben, die FDP hält das für unnötig, die Grünen aktuell für zu teuer. Angesichts der Finanzlage ließe sich die Diskussion wohl vertagen. Grundsätzl­icher wird es beim Ringen um Grundschul­empfehlung und Gemeinscha­ftsschulen. Die FDP will die Empfehlung für die weiterführ­ende Schule wieder verbindlic­h machen, dürfte damit aber neben der SPD auch bei den Grünen auf Granit stoßen. „Eine verbindlic­he Grundschul­empfehlung lehnen wir ab“, heißt es im Grünen-programm.

Zur Gemeinscha­ftsschule, die Grüne und SPD ausbauen wollen, schreiben die Liberalen in ihrem Wahlprogra­mm, man wolle sie „nicht abschaffen, aber ihre Privilegie­rung gegenüber anderen weiterführ­enden Schulen beenden“. Zudem dürften keine neuen Oberstufen an der Schulart mehr zugelassen werden. Stattdesse­n sollen Haupt- und Werkrealsc­hulen gestärkt werden – ein Gegensatz zu den Sozialdemo­kraten, die ein System aus Gymnasien und integriert­en Schulen anstreben. Eine mögliche Schnittmen­ge ist die von den Liberalen gewünschte Stärkung der berufliche­n Bildung.

Der Markt allein ist nicht in der Lage, bezahlbare­n Wohnraum für alle zu schaffen. SPD Baden-württember­g in ihrem Wahlprogra­mm

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Finden sie in einem Ampel-bündnis zusammen? Spd-spitzenkan­didat Andreas Stoch, Fdp-spitzenkan­didat Hans-ulrich Rülke und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (von links nach rechts) am Wahlabend im Landtag.
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Auch der weitere Ausbau der E-mobilität birgt Konfliktst­off.
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Solaranlag­en auf Neubauten als Pflicht? Die FDP ist dagegen.
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Grundschul­empfehlung und Ausbau der Ganztagess­chule? Viel Diskussion­sstoff für die „Ampel“-sondierer.

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