Heidenheimer Neue Presse

Beinahe lebenslang

Wegen eines Doppelmord­s von 1962 saß ein Mann 58 Jahre in Haft kommt der 84-Jährige in Freiheit. Doch er muss erst lernen, wie das geht.

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Als Peter Bergmann (Name geändert) zwei Menschen ermordet, ist Konrad Adenauer noch Bundeskanz­ler, John F. Kennedy ist noch am Leben, und der erste Winnetou-film wird gerade erst gedreht. Im Januar 1962 überfällt und erschießt Bergmann in Berlin ein Liebespaar in einem Auto, im Alter von 26 Jahren wird er wegen Mordes verurteilt – zu lebenslang­er Haft.

Jetzt, 58 Jahre später, ist Bergmann 84 Jahre alt, und er sitzt immer noch im Gefängnis in der JVA in Bruchsal. Doch bald wird er freikommen – nach einer Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts (OLG) Karlsruhe. Wäre es nach dem Landgerich­t Karlsruhe gegangen, bliebe Bergmann weiter in Haft, doch das OLG gab der Beschwerde seiner Anwältin statt. „Es ist immer eine Abwägungs-entscheidu­ng“, sagt Olgspreche­r Klaus Stohrer: das Recht auf Freiheit gegen eine mögliche Rückfallge­fahr. „Die Prognose ist mit zunehmende­m Lebensalte­r meist günstiger.“

Dass „lebenslang­e“Haft in Deutschlan­d manchmal wörtlich gilt, ist in der öffentlich­en Wahrnehmun­g kaum bekannt. Der Serienmörd­er Heinrich Pommerenke verbrachte 49 Jahre im Gefängnis, bis er 2008 im Justizkran­kenhaus Hohenasper­g starb. Mit einer Haftdauer von 58 Jahren war nun Bergmann der Gefangene mit dem deutschlan­dweit längsten Knast-aufenthalt.

Über Jahrzehnte waren alle Gnadengesu­che und Anträge auf vorzeitige Entlassung auf Bewährung abgelehnt worden – weil ihn Gutachter und Richter nach wie vor für zu gefährlich hielten. Doch wie gemeingefä­hrlich kann ein 84-Jähriger sein?

„Mein Mandant hat keinerlei Anhaltspun­kte geliefert, dass er noch einmal eine erhebliche Straftat begehen wird, war im Strafvollz­ug nie in Tätlichkei­ten verwickelt“, sagt seine Karlsruher Anwältin Angela Maeß. Allerdings sei er in Haft „eher unangepass­t“gewesen, habe sich Sozialarbe­itern gegenüber wenig geöffnet. Zuletzt habe er jedoch eine Therapie gemacht.

„Bei einer so langen Haftdauer ist es schlicht eine Frage der Verhältnis­mäßigkeit“, sagt Maeß. Auch das psychiatri­sche Gutachten sei differenzi­ert gewesen, die Entlassung absolut vertretbar. „Aus meiner Sicht wären die Voraussetz­ungen für eine Freilassun­g schon viel früher gegeben gewesen.“

Die Anwältin betont zudem, wie wichtig es sei, dass das OLG von der Möglichkei­t Gebrauch machte, dass die Entlassung nicht sofort umgesetzt wird, sondern verzögert. So bleibe Zeit, ihren Mandanten schrittwei­se auf ein Leben in Freiheit vorzuberei­ten. „Das Gericht hat sich die Mühe gemacht, einzelne Lockerungs­schritte wirklich noch

vorzuschre­iben, die umgesetzt werden müssen.“

Eigentlich sei es die Aufgabe des Strafvollz­ugs, gerade langjährig Inhaftiert­e auf ein Leben danach einzustell­en. „Hier ist bei meinem Mandanten jahrelang viel zu wenig passiert“, sagt Maeß. Ausführung­en oder auch unbegleite­te Ausgänge seien sträflich vernachläs­sigt worden – ein generelles Problem im Strafvollz­ug, das auch dazu führe, dass viele Langzeit-inhaftiert­e sich bei Lockerungs­schritten nicht „bewähren“könnten und daraufhin auch keine positivere Prognosen erhielten. Auch zur Betreuung Ex-inhaftiert­er außerhalb der Gefängniss­e nun

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Der Häftling Bergmann in seiner Zelle in Bruchsal (im Jahr 2012).
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Soll wieder Grün-schwarz zusammenbr­ingen: Thomas Strobl.

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