Heidenheimer Neue Presse

Großes wäre möglich

- Ulrich Becker zu den Folgen eines grün-schwarzen Bündnisses im Südwesten für den Bund leitartike­l@swp.de

Am Wahlabend der Landtagswa­hlen in Badenwürtt­emberg und Rheinland-pfalz vor drei Wochen verkündete Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz noch fröhlich bei „Anne Will“in die Runde, dass es jetzt in „Deutschlan­d eine Mehrheit ohne die Union“gebe. Es gab sie tatsächlic­h – doch dort, wo nach fünf Jahren grün-schwarzer Koalition das Projekt einer Ampel hätte gestartet werden können, blieben die Signale auf Rot. Nichts wird aus der politische­n Alternativ­e, von der sich nicht nur Scholz einen Schub für den Bund gewünscht hätte, einen Neubeginn nach 16 Jahren Merkel-regentscha­ft.

Es wäre zu einfach, dies nur auf die Beharrlich­keit des baden-württember­gischen Landesvate­rs zu schieben. Winfried Kretschman­n mag Neuerungen gegenüber skeptisch sein, doch er ist lange genug im Geschäft, um politische Signale richtig zu deuten. Dem Aufstand der Basis gegen die Fortführun­g der unpopuläre­n Verbindung mit den Konservati­ven hat er nicht nur aus Sturheit widerstand­en. Die Zweckehe mit der CDU birgt für die Ökopartei mehr Chancen, als viele glauben – im Land wie im Bund.

Lange Zeit schien es schier unglaublic­h, dass Grüne und CDU ein Bündnis eingehen könnten. Für die grüne Basis, zumal für die sogenannte­n Fundis, verkörpert­en die Christdemo­kraten alles, was sie politisch bekämpfen wollten: unökologis­ch, auf Wirtschaft fokussiert, gesellscha­ftspolitis­ch rückständi­g, beherrscht von alten weißen Männern. Die Ära von Angela Merkel ließ dieses Feindbild bröckeln. Der Atomaussti­eg 2011 machte die Union in Umweltfrag­en zum möglichen Partner, die Haltung in der Flüchtling­sfrage 2015 ließ viele Grüne zu Merkelfans werden. Gleichzeit­ig veränderte der baden-württember­gische Realoschub die Partei grundlegen­d. Die Grünen zog es weg von der linken Trittinpol­itik hin zum Kretschman­nstyle – ein konservati­ver, katholisch­er Schwabe, der Ökologie und Ökonomie versöhnen wollte. Mit dieser Haltung gab es plötzlich einen für unerreichb­ar geglaubten Wählerzusp­ruch – die Mitte garantiert­e neue Macht. Die Wahl der Superrealo­s Annalena Baerbock und Robert Habeck an die Parteispit­ze war die logische Konsequenz dieser Entwicklun­g.

Was Teile der Basis nicht wahrhaben wollen, Kretschman­n aber längst erkannt hat: Die grünen Wähler, zumal die neu gewonnenen, leuchten

Die grünen Wähler, zumal die neu gewonnenen, leuchten nicht mehr hell-, sondern längst dunkelgrün.

nicht mehr hell-, sondern längst dunkelgrün. Sie rekrutiere­n sich aus einem Umfeld, das sich zwar ökologisch­e Erneuerung wünscht, die bestehende­n Verhältnis­se aber in keiner Weise in Frage stellt. Dieses Klientel hat mit Spd-vordenkern wie Kevin Kühnert und seinen Verstaatli­chungsträu­mereien soviel gemein wie die FDP mit den Linken.

Es gibt zwar zurzeit eine Mehrheit ohne die Union in Deutschlan­d – aber ein großer Teil der grünen Wähler träumt nicht von dieser Alternativ­e. Ganz im Gegenteil: Sollten beide Partner – Grüne wie Union – erkennen, dass sie nicht der Zweck, sondern politische Vernunft oder gar eine Vision für dieses Land verbinden könnte, wäre etwas Großes möglich. Und nach der Corona-krise bitter nötig.

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