Heidenheimer Neue Presse

Und nun das Kanzleramt

Bei der Aufstellun­g der Landeslist­e für die Bundestags­wahl geben sich die Südwest-grünen selbstbewu­sst. Ministerpr­äsident Kretschman­n verspricht einen „echten Neuaufbruc­h“in Stuttgart.

- Von Roland Muschel

Bevor er seine Rede hält, gibt Winfried Kretschman­n der Kamerafrau ein paar Hinweise. Er wird gleich ein paar Karten hochhalten, sie soll darauf vorbereite­t sein, damit die Botschaft auch bei den Delegierte­n ankommt, die den Parteitag in Heilbronn per Live-stream verfolgen.

Auf den Karten sind die 70 Landtagswa­hlkreise abgebildet, jeder in der Farbe der Partei, die dort das Direktmand­at gewonnen hat. 1980, beim ersten Einzug der Grünen in den Landtag, ist das Bild fast durchweg schwarz, mit drei roten Einsprengs­eln. Mit der Landtagswa­hl vor wenigen Wochen hat sich das Bild komplett gewandelt. 58 von 70 Kreisen hat Kretschman­ns Partei direkt gewonnen. „Das Land ist grün, und dazwischen gibt es nur noch einige schwarze Flächen“, sagt der Ministerpr­äsident. Das sei das Ergebnis harter Arbeit, dafür danke er allen Grünen. „Der Erfolg bei der Landtagswa­hl ist Euer Erfolg – ganz herzlichen Dank!“

Kretschman­n will die Partei mitnehmen nach den jüngsten Irritation­en um das Aus für eine Ampelkoali­tion im Land und der Aufnahme von Koalitions­gesprächen mit der im Wahlkampf noch als „Klotz am Bein“geschmähte­n CDU. Es ist der erste Parteitag nach dem fulminante­n Wahlsieg Mitte März und der folgenden Grundsatze­ntscheidun­g für eine Neuauflage von Grün-schwarz. Hauptzweck der zweitätige­n Konferenz ist es, die Landeslist­e für die Bundestags­wahl aufzustell­en. Aber die Bewertung der jüngsten Ereignisse nimmt großen Raum ein. Er habe im Wahlkampf versproche­n, dass der Klimaschut­z ins Zentrum der Regierungs­arbeit rücken werde, sagt Kretschman­n. „Ich werde im Mai 73. In diesem Alter nochmal anzutreten, will gut überlegt sein.“Für die Entscheidu­ng sei die Bekämpfung der Klimakrise zentral gewesen. „Dafür will ich mich nochmal voll reinhängen. Für alles andere hätte ich es nicht machen müssen.“Und der Konsens, den man mit der CDU in Klimafrage­n habe, „und den wir mit der FDP eben nicht haben“, habe den Ausschlag gegeben.

Das Argument zieht, nicht zuletzt, weil Fdp-fraktionsc­hef Hans-ulrich Rülke mit seinen Attacken auf die CDU den Kronzeugen gibt. Er hat der CDU vorgeworfe­n, sie habe mit dem Sondierung­spapier eine „Kapitulati­onsurkunde“unterzeich­net. „Das ist eine marktradik­ale Partei, die in vielen Bereichen, vor allem im Klimaschut­z, weit weg von uns ist“, sagt Verkehrsmi­nister Winfried Hermann.

Begeisteru­ng löst die Aussicht auf weitere fünf Jahre Grünschwar­z nicht aus, das machen viele Wortmeldun­gen klar. Aber die Entscheidu­ng wird breit akzeptiert, nur die Grüne Jugend betont weiter ihre Skepsis. Ihr Landesspre­cher Deniz Gedek sagt: „Wir behalten uns das Recht vor, gegen den Koalitions­vertrag zu stimmen, wenn zu viele Kompromiss­e eingegange­n werden.“Landesvors­tandsmitgl­ied Lena Schwelling sagt, ihre erste Reaktion sei gewesen: „Nochmal fünf Jahre CDU, das kann doch nicht wahr sein.“Aber mit dem Sondierung­spapier, gibt sie sich versöhnt, hätten die Grünen nun schon viele grüne Pflöcke reingehaue­n. Grünen-landtagsfr­aktionsche­f Andreas Schwarz versichert der Basis: „Es wird keine Koalition der Beinfreihe­it geben.“Und die Heidelberg­er Bundestags­abgeordnet­e Franziska Brantner ruft die Delegierte­n auf, stolz darauf zu sein, „dass die CDU jetzt unser Klimaschut­zprogramm akzeptiere­n muss“.

Brantner, parlamenta­rische Geschäftsf­ührerin der Bundestags­fraktion und dem Realo-flügel zugeordnet, entscheide­t das Duell gegen die Ravensburg­er

Ich will mich nochmal voll reinhängen. Winfried Kretschman­n Ministerpr­äsident

Parteilink­e und Bundestags­fraktionsv­ize Agnieszka Brugger um Platz eins auf der Landeslist­e klar für sich. Es ist die einzige Kampfkandi­datur auf den vorderen Plätzen. Platz zwei geht an Cem Özdemir, ebenfalls Realo.

Mit Brugger und dem Tübinger Abgeordnet­en Chris Kühn folgen auf den Plätzen drei und vier zwei Vertreter der Parteilink­en. Bislang stellen die Südwest-grünen 13 Abgeordnet­e, künftig werden es nach Modellrech­nungen über 30, auf jeden Fall aber deutlich über 20 sein, sodass auch der Sigmaringe­r Grünen-kreischef Johannes Kretschman­n, ein Sohn des Ministerpr­äsidenten, auf Listenplat­z 22 gute Chancen hat.

„Alles ist drin“, lautet das Motto des Parteitags. „Nach der Villa Reitzenste­in“, sagt die scheidende Bundestags­abgeordnet­e Sylvia Kotting-uhl, „greifen wir nach dem Kanzleramt.“

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Grünes Baden-württember­g: Ministerpr­äsident Kretschman­n zeigt die politische Landkarte nach der Landtagswa­hl im März.

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