Zwischenstation in den Tod
6500 Juden aus dem Südwesten wurden 1940 ins französische Gurs verschleppt – der Beginn der Massendeportationen. Eine Ausstellung erinnert daran.
Erst die Vorhölle von Gurs, dann die Gaskammern von Auschwitz: Das Schicksal von Albert und Jenny Teutsch gleicht dem tausender Juden aus Baden. Ihren Sohn Walter konnten die Eheleute aus Karlsruhe noch vor den Nazis nach England in Sicherheit bringen. Für sie selbst und ihren zweiten Sohn Hans gab es dagegen kein Entrinnen mehr. Im Oktober 1940 wurde die Familie nach Südfrankreich deportiert und im Lager Gurs interniert. 1941 kam sie ins Lager Rivesaltes. Hans konnte über eine jüdische Hilfsorganisation befreit werden und überlebte in der Schweiz. Die Eltern aber wurden nach Auschwitz abtransportiert und dort ermordet.
Viele starben an Folgen der Haft
Im vergangenen Oktober jährte sich die erste konzertierte Massendeportation von Juden durch die Nazis zum 80. Mal. Rund 6500 Menschen wurden offiziellen Quellen zufolge am 22. und 23. Oktober 1940 aus Baden und der Saarpfalz nach Gurs am Fuße der Pyrenäen verschleppt, wo das mit Hitler kollaborierende Vichy-regime die Kontrolle hatte. Die Aktion war zugleich der Beginn des Massenmordens, denn nur ein kleinerer Teil überlebte: Viele starben an den Folgen der verheerenden Haftbedingungen in Gurs oder wurden ab 1942 in den Ns-vernichtungslagern Auschwitz und Sobibor umgebracht. Einige konnten fliehen, auswandern oder untertauchen – und den Holocaust überleben.
An das Schicksal der Familie Teutsch und vieler anderer Juden aus dem Südwesten Deutschlands erinnert nun eine deutsch-französische Ausstellung unter der
Schirmherrschaft von Bundespräsident Frank-walter Steinmeier. Sie wird über das Jahr verteilt in vielen baden-württembergischen Städten zu sehen sein, zudem in Rheinland-pfalz, im Saarland, in Berlin und in Frankreich. Ursprünglich war die Eröffnung bereits am 80. Jahrestag im Oktober 2020 vorgesehen, wäre da nicht die Pandemie. Ein zweites Mal wollten die Macher ihre Ausstellung trotz aktuell dritter Corona-welle nicht verschieben. Zunächst ist sie allerdings nur virtuell zu sehen (www.gurs1940. de), da aktuell vielerorts die Notbremse greift.
Die Ausstellung besteht vor allem aus Schautafeln und kann deshalb zeitgleich in mehreren Städten gezeigt werden. In BadenWürttemberg machen, sobald wieder Publikum zugelassen ist, das Stadtmuseum Karlsruhe und das Rathaus in Heidelberg den Anfang, gefolgt von den Stadtmuseen in Baden-baden und Rastatt sowie dem Hospitalhof Stuttgart. Die Liste der Ausrichter wird ständig erweitert. Das Konzept stammt von der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannseekonferenz in Berlin. Das Stadtmuseum Karlsruhe etwa hat die Ausstellung aber um zahlreiche lokale Aspekte ergänzt. „Eine Wand mit Namen und Fotos erinnert an die mehr als 950 deportierten Juden aus Karlsruhe“, sagt Ferdinand Leikham, Leiter des Stadtarchivs. Hinzu kommen Tafeln zum jüdischen Leben in Karlsruhe
von 1715 bis 1945 und zu einzelnen Schicksalen von Deportierten, darunter die Familie Teutsch. Und in abstrakten Bildern haben Schüler Schilderungen des Gurs-überlebenden Paul Niedermann (1927 - 2018) künstlerisch verarbeitet.
„Die Ausstellung hilft, uns dem Unaussprechlichen zu nähern“, sagte Anne-marie Descôtes, die Botschafterin Frankreichs in Deutschland, bei der virtuellen Eröffnungsfeier in Berlin. Sie bezeichnete Gurs als „schmerzhaftes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte“. Französische Behörden hätten damals „absichtlich zu entsetzlichen Lebensbedingungen“in dem Lager beigetragen. Der aus Offenburg zugeschaltete baden-württembergische Kultusstaatssekretär Volker Schebesta (CDU) sagte, Gurs „brachte für sehr viele Menschen den Tod“.
Frankreich hatte 1995 durch den damaligen Staatspräsidenten Jacques Chirac seine Mitverantwortung an der Deportation von Juden in die Ns-vernichtungslager anerkannt. In Gurs waren zunächst Flüchtlinge aus Spanien untergebracht. Ab Mai 1940 wurden dort geflüchtete Jüdinnen aus Deutschland interniert, die als „feindliche Ausländer“galten. Später kamen die deportierten Juden aus Südwestdeutschland sowie Juden aus anderen französischen Lagern dazu.
Das mit bis zu 20 000 Insassen zeitweise völlig überfüllte Lager unterstand dem Innenministerium des Vichy-regimes. Die Baracken waren auf unbefestigten Lehmböden gebaut, Lebensmittel waren streng rationiert und die Menschen mussten teilweise auf dem nackten Boden schlafen.