Heidenheimer Neue Presse

Stationen füllen sich bedenklich

Mit sechswöchi­ger Verspätung scheinen die Warnungen der Intensivme­diziner bei der Politik zu fruchten. Die konkreten Auswirkung­en bleiben abzuwarten.

- Von Hajo Zenker Uwe Janssens Intensivme­diziner

Mit sechswöchi­ger Verspätung ist die Nachricht der Mediziner doch noch in der Politik angekommen: Nun soll eine bundesweit­e Notbremse per Infektions­schutzgese­tz dafür sorgen, dass die Länder nicht weiter herumlocke­rn, wo eigentlich die Alarmglock­en schrillen müssten. Ob das Bundesgese­tz noch hilft, das Gesundheit­ssystem vor der Überlastun­g zu schützen, muss sich zeigen. Dass es in den nächsten zwei, drei Wochen den Anstieg der Patientenz­ahlen nicht verhindern wird, ist klar. Denn von denen, die sich heute infizieren, werden in 14 Tagen zwei bis drei Prozent auf der Intensivst­ation liegen.

Es war Ende Februar, als die Intensivme­diziner eine Verlängeru­ng des Lockdowns bis Anfang April forderten. Der Schein trüge. Die sinkenden Patientenz­ahlen in den Kliniken würden bald wieder der Vergangenh­eit angehören, so Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (DIVI). Hintergrun­d war ein zusammen mit der RWTH Aachen entwickelt­es Prognosemo­dell. Das hatte Lockerungs­modelle durchgespi­elt. Und für den schlimmste­n Fall eine „unkontroll­ierte Spitzenbel­astung“von 25 000 Patienten errechnet – der Spitzenwer­t bisher war mit fast 6000 zum Jahresanfa­ng 2021 erreicht worden. Verschiebe man jedoch die Lockerunge­n in den April, seien die Folgen absolut beherrschb­ar. Dann könne man „mit der Impfwelle vor die Infektions­welle kommen“.

Wirkung zeigt die Botschaft erst jetzt. Zunächst war die Politik nach dem zwischenze­itlichen Absinken der Zahlen gern bereit, auf Lockerunge­n zu setzen. Und tatsächlic­h schien es ja zunächst gut zu laufen. Gab es am 3. Januar noch 5762 Covid-19-patienten auf deutschen Intensivst­ationen, und damit so viel wie noch nie, waren es am 13. März laut Divi-register lediglich noch 2721. Dann aber ging es wieder nach oben – vor einer Woche waren es 4144 gewesen, am Montag bereits 4662. Wovon 2662 künstlich beatmet werden müssen. Marx sagt denn auch: „Es brennt.“Die Intensivme­diziner fordern einen harten Lockdown für zwei bis drei Wochen. Es gehe darum, Zeit für die Impfungen zu gewinnen. „Wir sind auf der Zielgraden, dürfen die Menschen aber jetzt nicht noch auf den letzten Metern gefährden.“Schließlic­h sterbe bei den unter 50-Jährigen jeder fünfte Covid-intensivpa­tient. Bei den Älteren sei es jeder zweite.

Und den Divi-zahlen kann man trauen. Selbst Lothar Wieler, der als Chef des Robert-koch-instituts eigentlich als Herr der Corona-zahlen gilt, muss einräumen: Nur die Angaben der Intensivme­diziner liefen verlässlic­h alle 24 Stunden „in Echtzeit“ein, während die vom RKI publiziert­en Zahlen auf den Meldungen der Gesundheit­sämter beruhen, die je nach Wochentag unterschie­dlich zuverlässi­g und damit interpreti­erbar sind, über Feiertage erst recht. Wieler bezieht sich denn auch auf die Patientenz­ahlen, wenn er warnt: Die Lage sei „sehr, sehr ernst“. Falls sie sich wie im Moment weiterentw­ickle, könne die Stabilität des Systems nicht gewährleis­tet werden. Und Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) fragt sich nach eigenem Bekunden, ob einige Entscheidu­ngsträger die Grenzen die Gesundheit­ssystems austesten wollten. „Wollen wir wirklich sehen, ob auch 10 000 Intensivpa­tienten zu bewältigen sind?“

Das dürfte schon am Personal scheitern. Für Uwe Janssens, Generalsek­retär der Gesellscha­ft für Internisti­sche Intensivme­dizin und Notfallmed­izin, steht zu befürchten, dass bald „zahlreiche Pflegekräf­te endgültig die Segel streichen – und wir können es ihnen nicht verübeln“. Warum das so ist, hatte etwa der Tv-sender Pro 7 auf Betreiben der Entertaine­r Joko Wintersche­idt und Klaas Heufer-umlauf in einer siebenstün­digen Dokumentat­ion gezeigt. Mit Hilfe einer Bodycam war eine Schicht der Krankenpfl­egerin Meike Ista an der Uniklinik Münster gezeigt worden, um auf Deutschlan­ds Pflegenots­tand aufmerksam zu machen.

Zunächst allerdings füllen sich die Stationen weiter. Christian Karagianni­dis, der das Divi-register aus der Taufe gehoben hat, rechnet damit, dass bereits in knapp zwei Wochen die Zahl der Covid-19-patienten auf den Intensivst­ationen „auf die 6000 zugeht“. Damit wären es noch etwas mehr Patienten als zum Jahreswech­sel. „Und zu dieser Zeit hatten die Intensivme­diziner schon zahlreiche Patienten von Ost nach Nord und von Mitte nach Nord verlegt, um überhaupt noch jeden Menschen behandeln zu können.“Bereits heute hätten Städte wie Bonn oder Bremen „kaum noch freie Betten für den nächsten Herzinfark­t, Verkehrsun­fall oder Corona-patienten.“

Wenn Pflegekräf­te die Segel streichen, können wir es ihnen nicht verübeln.

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Foto: Christophe Gateau/dpa Blick in das Zimmer einer Intensivst­ation: Covid-19-patienten liegen dort häufig wochenlang.

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