Das nicht enden wollende Missverständnis
sich seit dem Jahr 1054 kaum verändert zu haben. Damals trat der junge Mönch Humbert im Namen von Papst Leo IX. wortmächtig in Konstantinopel auf, um die dortige Kirche zur römischen Räson zu bringen. Die Mission ging schief und ist als ost-westliche Kirchenspaltung in die Schulbücher eingegangen. Dem universellen Geltungsanspruch des Westens zeigte der Osten die kalte Schulter und beharrte auf Autonomie und Individualität. Das wirkt wie eine Blaupause für heute. Ost und West verstehen sich nicht. Auf der einen Seite der „alte“Teil der EU, der auf Gesetze
und für alle in gleichem Maße gültige Regeln beharrt. Auf der anderen, die jungen Beitrittsstaaten, die an Verhandlungen und damit individuelle Deals glauben.
Wie tief die Missverständnisse sind, wie weit sie zurückreichen und wie umfassend sie sind, hat Norbert Mappes-niediek in seinem neuen Buch „Europas geteilter Himmel“herausgearbeitet. Der langjährige Südost-europa-korrespondent hat ein erhellendes Buch geschrieben. Kenntnisreich spürt er unterhaltsam Stereotypen auf und beschreibt Denkmuster, die so gar nicht zueinander passen wollen. Und dabei ist nicht einmal klar, wo der Westen endet und der Osten beginnt. Klar sind nur die Differenzen. Man wundert sich nach der Lektüre, dass West und Ost trotz allem Unverständnis immer wieder zu pragmatischen Lösungen fähig sind.
Europas geteilter Himmel. Warum der Westen den Osten nicht versteht. Ch. Links, 2021. 304 Seiten 22 Euro.