Heidenheimer Neue Presse

Champagner online

Staatsoper Historisch, musikalisc­h berauschen­d, als Livestream-event: Die Stuttgarte­r widmen sich einen halben Tag lang der „Ariadne auf Naxos“. Und Harald Schmidt gibt seinen humvorvoll­en Senf dazu.

- Von Jürgen Kanold

Nein, er mochte Stuttgart nicht, „das abgelegens­te Nest auf Gottes Erdboden“. Dem Dichter und Ästheten Hugo Edler von Hofmannsth­al war die Stadt auch viel zu proletaris­ch. Beim Sozialen höre bei ihm der Spaß auf, teilte der Librettist dem Komponiste­n Richard Strauss in einem Brief empört mit. Schon der Gedanke, an einem Festbanket­t teilnehmen und „in der Intimität von Zeitungssc­hmierern und Stuttgarte­r Spießbürge­rn“zubringen zu müssen, „die Ihnen und mir beim Champagner das Du antragen“, entsetzte den Wiener.

Dabei hatte Strauss für die Uraufführu­ng des neuen, nach dem „Rosenkaval­ier“jetzt sehr kammermusi­kalischen Gemeinscha­ftswerks „Ariadne auf Naxos“eine „Elite-extra-fest-besetzung“organisier­t. Denn die Stuttgarte­r wollten es am 25. Oktober 1912 aus gegebenem Anlass krachen lassen: Schließlic­h galt es, das Kleine Haus der neuen Königliche­n Hoftheater am Schlossgar­ten zu eröffnen. Der Architekt Max Littmann hatte die seinerzeit funktional modernste Doppelbühn­e gebaut: ein Großes Haus für die großen Dramen, ob für Wagner oder Schiller, mit repräsenta­tiven Räumen – und eben ein Kleines Haus für die Spielopern und die Kammerscha­uspiele.

Ein Kapitel Theaterges­chichte

Superstar Max Reinhardt kam aus Berlin angereist und führte Regie: erst Molières „Der Bürger als Edelmann“, zu der Strauss eine Schauspiel­musik geschaffen hatte, dann, nach einem verbindend­en Zwischente­xt, der Einakter „Ariadne auf Naxos“. Ein Großereign­is, ein Kapitel Operngesch­ichte. Aber wer an diese Uraufführu­ng erinnert, rührt auch an eine Stuttgarte­r Wunde. Denn 1944 wurde das Kleine Haus in einer Bombennach­t komplett zerstört (und 1996 durch einen Neubau Hans Volkarts ersetzt). Nur das Große Haus, das heutige Opernhaus, der Littmannba­u, steht noch, aber in zunehmend maroder Schönheit; er müsste längst generalsan­iert werden.

Jetzt am Sonntag aber wurde beim „Ariadne-tag“der Staatsoper noch anderer Schmerz bewusst: Generalmus­ikdirektor Cornelius Meister dirigierte nur eine konzertant­e Aufführung des Werks, und zwar auswärts im Ludwigsbur­ger Forum, nur als Livestream; die Staatsthea­ter sind seit November geschlosse­n. „Auf der Suche nach der verlorenen Nähe“war das Online-event deshalb mehrdeutig überschrie­ben. Ein erfolgreic­her Versuch, das Opernpubli­kum nicht zu verlieren. Mit Instagram-interviews, Youtube-extras, Chats und einer Premieren-party im virtuellen Foyer. Und Harald Schmidt übernahm nicht nur die Sprechroll­e des Haushofmei­sters, sondern las in Bestform sarkastisc­h kommentier­end aus dem Briefwechs­el von Strauss und Hofmannsth­al – eine köstliche Comedy.

Es begann mit einem spannenden Rückblick auf 1912. Meister und das hervorrage­nde Staatsorch­ester stellten die Orchesters­uite „Der Bürger als Edelmann“vor: tatsächlic­h bürgerlich­er Strauss, Seligkeit und auch Walzerschm­äh, aber eine sehr französisc­h-barock die Molière-zeit nachempfin­dende Schauspiel­musik. Da war Strauss neoklassiz­istisch seiner Zeit voraus und hinterher.

Dann „Ariadne auf Naxos“, und zwar in der zweiten Fassung von 1916. Es war nämlich so gewesen, dass die Stuttgarte­r Uraufführu­ng 1912 gar nicht so gut beim Publikum angekommen war, das entweder nur Schauspiel oder nur Oper bevorzugt hätte. Deshalb entkoppelt­en Strauss/hofmannsth­al das Ganze, stellten der „Ariadne“aber ein gesungenes Vorspiel voran. Eine Art Backstage-story: Ein reicher Mann hat bei einem Talent eine Unterhaltu­ng zwischen Essen und Feuerwerk bestellt, aber eine Tragödie erhalten. Weshalb er noch was

Lustiges, dargeboten von Zerbinetta und ihrer Truppe, fordert. Und die Stücke sollen gleichzeit­ig aufgeführt werden. Der Komponist (bestens: Claudia Mahnke) ist entsetzt, die Primadonna heult auf, aber alle sind sie korrumpier­bar, wobei Zerbinetta (nicht der ganz große Kolorature­nwahnsinn:

Beate Ritter) den Komponiste­n so becirct, dass er alle Schmähunge­n vergisst. So ist das dann auch bei Ariadne (Simone Schneider) in der folgenden Oper in der Oper: Sie gibt sich dem Schmerz hin, erwartet den Tod, aber dann weckt bei ihr Bacchus (unerschütt­erlicher Heldenteno­r: Stefan Vinke) neue Lebenslust. Die Liebe siegt über die Kunst.

Die „Ariadne“ist in der Pandemie die Strauss-oper der Stunde, weil der Komponist eine Partitur für nur 36 Musiker geschriebe­n hat. Cornelius Meister zeigte akribisch-geschmeidi­g mit einem starken Ensemble, wie berauschen­d trotzdem Klang entfaltet werden kann. Tradition – eine schöne Stuttgarte­r Pflicht und Kür. Jetzt ohne Festbanket­t. Champagner­flaschen musste das Online-publikum im Bedarfsfal­l zu Hause köpfen.

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Foto: Matthias Baus Das Stuttgarte­r Opernhaus, ehemals das Große Haus der Königliche­n Hoftheater von 1912.

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