Heidenheimer Neue Presse

Joachim B.

Schmidt: Kalmann (Folge 70)

- Fortsetzun­g folgt

zügig durchs glatte Wasser und machte kleine Wellen. Nun begann es richtig zu schneien, die Flocken fielen leise aufs Wasser und lösten sich da sofort auf, wurden selber Wasser und dadurch Teil des Meeres. Hier draußen ist die Natur so vollkommen wie sonst nirgendwo. Der Schneefall wurde ganz dicht, ich war plötzlich in einer völlig anderen Welt, denn alles um mich herum war in Bewegung, ich sah aber keine fünf Meter weit. Es gab nur noch mich und Petra. Ich stellte mir vor, dass die Schneefloc­ken Planeten waren und ich auf Petra mit Lichtgesch­windigkeit durchs Weltall flog. Auf dem gps sah ich genau, wo ich mich befand, obwohl bald alles um mich herum genau gleich aussah. Weiß gibt es in ganz vielen Farben. Aber plötzlich nahm

Petra schnitt

der Schneefall ab. Ich fuhr durch den letzten Schleier wie durch einen Vorhang, stand jäh auf der beleuchtet­en Bühne, aber ohne Publikum und ohne Lampenfieb­er. Die Welt war jetzt ganz still und ausgeschla­fen, ausgeschne­it, wie frisch erschaffen. Großvater hatte dieses Wetter geliebt. Ich konnte es ihm jeweils ansehen, auch wenn er es nicht zugab. Bei solchem Wetter sagte er dann meistens kein Wort, stopfte sich eine Pfeife und starrte mit einem zufriedene­n Gesichtsau­sdruck aufs Wasser, obwohl er noch überhaupt nicht wusste, ob die Haie angebissen hatten oder nicht. Manchmal stellte er den Motor ab, wenn wir bei den Leinen waren, vor allem, wenn er eine Schnapsfla­sche dabeihatte, obwohl er manchmal Mühe hatte, den Motor wieder anspringen zu lassen. Und dann, wenn der Motor tatsächlic­h nicht mehr anspringen wollte und nur Furzlaute von sich gab, lachte Großvater, so dass ich nie Angst auf dem Meer hatte, selbst als wir einmal stundenlan­g Richtung Nordpol abdriftete­n und von Ingvar zurück in den Hafen geschleppt werden mussten. Großvater liebte diese Stille, und manchmal sagte er, es sei ihm unerklärli­ch, wie es die Leute in einer Stadt aushielten, wo es nie still war. Man könne nur dann sein Herz hören, wenn es so still sei wie hier draußen. Manchmal machte er ein Nickerchen, und dann schnarchte er so laut, es nicht mehr still war.

Wenn meine Petra sinken würde, würde ich einfach nur auf dem Wasser dümpeln, an Ort und Stelle warten, bis Rettung käme. Schließlic­h wusste ich, wie man ein Notsignal sendete. Es gab keinen Grund zur Sorge. Hier draußen war ich sowieso ganz alleine. Niemand konnte mich hören, niemand konnte mich beobachten. Aber einsam war ich nie, und Angst hatte ich auch keine.meine Mutter war früher sehr dagegen, als ich anfing, alleine rauszufahr­en, nachdem Großvater zu schwach für Bootsfahrt­en geworden war. Aber Mütter haben immer Angst um ihre Söhne. Das ist normal. Und deshalb brauchte ich mich auch nicht darum zu kümmern. Auf dem Meer fühlte ich mich viel sicherer als bei einer dass

Tanzverans­taltung oder in Maggas Auto. Hier musste ich mich nicht anstrengen, durfte sein, wer ich war und wie ich war. Und irgendwie war ich dadurch anders, als wenn ich bei einer Tanzverans­taltung oder in Maggas Auto war.

Nicht alle Menschen sind gerne alleine. Ingvar zum Beispiel war nie gerne alleine. Er nahm immer seinen Hund mit aufs Meer, und als sein Hund gestorben war, nahm er die Katze mit, bis er wieder einen neuen Hund hatte, denn die Katze mochte das Meer eigentlich nicht, auch wenn sie die Möwen beobachten und anfauchen konnte. Wegen diesen Möwen war man nie richtig alleine hier draußen. Mit denen konnte man sich sogar unterhalte­n, auch wenn sie keine Antwort gaben und dich nur anguckten. Aber sie hörten einem doch manchmal zu, das sagte zumindest Großvater, der sich immer gerne mit den Möwen unterhielt, ja, eigentlich mit allen Tieren, die ihm begegneten; Möwen und Papageitau­cher, Hunde und Katzen, Schafe und Pferde, sogar Hummeln, für die er immer aufmuntern­de Worte hatte.

Bald sah ich meine Boje, deren Standort ich auf meiner Seekarte mit den entspreche­nden gps-koordinate­n vermerkt hatte. Ich bin noch nie weiter hinausgefa­hren als bis zu meiner Langleine. Wieso sollte ich auch? Ich bin ein Haifischfä­nger, kein Seefahrer. Und weiter draußen ist auch nur Wasser, das sieht man auf der Karte. Und das hatte ich so mit Mutter abgemacht. Das war unser Deal.

© Diogenes Verlag

Zürich

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