Menschen, die ihren Platz suchen
Der Stuttgarter Kröner Verlag hat die ersten Titel der „Edition Klöpfer“herausgebracht. Joachim Zelter ist dabei mit seinem Roman „Verabschiebung“über ein aussichtsloses Asylververfahren.
Sein neuer Roman mit dem vielsagenden Titel „Verabschiebung“handelt von einem Asylbewerber, der über Nacht von der Polizei abgeholt und zurück nach Pakistan geflogen wird, obwohl seine deutsche Freundin ihn geheiratet hatte. Eine bedrückende Geschichte. Joachim Zelter aber geht es um mehr, nämlich grundsätzlich um „Menschen, die ihren Platz suchen“. Der 58-Jährige zählt als Schriftsteller von Berufs wegen gewiss dazu – und in welchem Verlag seine Bücher erscheinen, war zuletzt auch nicht gerade in Beton gegossen.
Wobei zumeist Hubert Klöpfer diese herausgab. Zelters für den Deutschen Buchpreis nominierte Satire „Der Ministerpräsident“kam 2010 bei Klöpfer & Meyer heraus, sein Roman „Imperia“2020 im Verlag namens Klöpfer, Narr und „Verabschiebung“jetzt bei Kröner – und zwar in der „Edition Klöpfer“. Das muss erklärt werden: Klöpfer hatte 2018 einen Nachfolger für seinen großen kleinen, literarisch ambitionierten, aber auch in wirtschaftliche Schieflage geratenen Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer gesucht. Er konnte ein Insolzverfahren nicht abwenden, verbündete sich aber neu motiviert mit dem Verlag Gunter Narr. Doch nach einem knappen Jahr und einem selbstbewussten Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse 2019 verließ Klöpfer im März 2020 als Gesellschafter wieder das Unternehmen Klöpfer, Narr.
Starker Auftritt
Jetzt ist der 70-Jährige also für die „Edition Klöpfer“im Stuttgarter Traditionsverlag Kröner verantwortlich. Und hat sein erstes Programm mit sechs Titeln eingebracht, mit seinen vertrauten Helden Zelter oder Walle Sayer: „Man baut eine Autorenschaft auf, um sie zu pflegen.“Philosophie, Soziologie, Religion und Geschichte fürs Volk – man kennt die kleinen, hellblauen Leinenbände der Kröner Taschenbuchausgabe. Oder die Lexika und Klassiker. Seit einiger Zeit baut Kröner auch eine literarische Sparte auf: Übersetzungen wie „Eine Vision“des irischen Nobelpreisträgers W. B. Yeats oder die Reihe „Erlesenes Lesen“, etwa mit der „Schachnovelle“von Stefan Zweig. Und nun folgt Klöpfers Gegenwart.
„Es ist so gut wie unmöglich, mit Nachschlagewerken einen Verlag am Leben zu halten“, sagt Alfred Klemm in dem Online-talk „Mehr Literatur: Bücher fürs Denken ohne Geländer“. Der Kröner-chef setzt auf Qualität, auch bei der Ausstattung. Das bedeutet: Zelters „Verabschiebung“in Halbleinen und mit Lesebändchen. Ein tagesaktuell brisanter Roman, aber keine schnelle Ware.
Der 1962 in Freiburg geborene, in Schwäbisch Hall aufgewachsene Zelter empfindet „totale Erleichterung“, dass er als Autor bei Kröner „in ruhigem Fahrwasser“angekommen ist. „Ein Kreis schließt sich“: Als Anglist habe er für ein Nachschlagewerk des Verlags einen Artikel über die fünf Romane des „Avignon-quintetts“von Lawrence Durrell verfasst – gut 2000 Seiten auf den Punkt zu bringen, das habe ihn ziemlich gestresst.
Zelter, der Schriftsteller, aber kann das: verdichtet erzählen. Viel beachtet etwa sein Roman „Im Feld“über einen obsessiven Radfahrer (er selbst treibt manisch diesen Sport). Und sein neues Buch sei „aus zwingender Notwendigkeit“entstanden. Denn Zelters in Tübingen lebende Schwester hat das erlebt: Ihr Mann, ein Flüchtling aus Pakistan, wurde abgeschoben, am 6. Januar 2020 kam die Polizei.
Der Albtraum eines Asylverfahrens in allen unwürdigen bis kafkaesken Details: „Verabschiebung“freilich ist keine Reportage, sondern ein Roman – „eine Synthese aus verschiedenen Fällen und Diskursen“, mit literarischer Wucht. Es ist auch eine Familiengeschichte: Johannes nähert sich in der Katastrophe seiner Schwester Julia wieder an, deren ganzes Leben aus Widersprüchen bestand, die nie heiraten wollte, es aber für Faizan tat, den sie liebt. Was macht das alles mit den Menschen: eine Abschiebung, Abschiede, ein Suchen – auch nach sich selbst? Ein starker Start der „Edition Klöpfer“.