Heidenheimer Neue Presse

Falsches Bild von „Zwangsarbe­itern“

- Zur Rubrik „Zurückgebl­ättert“vom 13. April 2021: Hans G. Lindenmeye­r, Heidenheim

Die Erinnerung­en an ortsgeschi­chtliche Gegebenhei­ten sind lobens- und lesenswert. Jedoch sollten diese Darstellun­gen wirklichke­itsnah bleiben.

Sie schreiben, Kriegsgefa­ngene und Zwangsarbe­iter seien im Ersten Weltkrieg anders als im Zweiten Weltkrieg nicht in Lager gepfercht worden und angekettet gewesen. Im nahegelegt­en Umkehrschl­uss hätten Kreis-heidenheim­er diesen Personenkr­eis in der letzten Kriegszeit in Lagern angekettet. Das ist doch Unsinn.

Selbst gegenüber dem inflationä­r gestreuten Begriff Zwangsarbe­iter ist Vorsicht angebracht. Viele dergestalt pauschalie­rt Eingestuft­e kamen wegen Missstände­n in der Heimat selbstbest­immt nach Deutschlan­d. So in Schnaithei­m die junge Waise W., die nach eigener Aussage beim polnischen Baron nicht so viel verdiente, dass sie sich Schuhe leisten konnte. Sie kam bei einem

Landwirtsp­aar unter, das sie später adoptierte. Der hier tätige Wladislaw W. beschrieb die sozialen Zustände seiner Heimat ähnlich, zu denen nach Sowjetisie­rung blankes Entsetzen kam: „Aus unseren Kirchen sie machen Stajni!“– Pferdestäl­le. Als nach Kriegsende die Us-verwalter ihn zur Rückkehr auffordert­en, wies er das, auch aus Furcht vor der Roten Armee, entrüstet zurück, blieb noch Monate bis zur Sichelhenk­e und ging dann in die USA.

Berichte über die schlimme Behandlung russischer Heimkehrer schon nach dem Ersten Weltkrieg – etwa eines Bekannten des in Schnaithei­m verblieben­en deutsch-russischen „Kulaken“H. – wirkten also. Auch der ukrainisch­e Kollege des genannten W., Nikolaj M., hatte die deutsche Kommandant­ur erfolgreic­h um Überstellu­ng nach Deutschlan­d gebeten, nachdem ihn die Bolschewis­ten misshandel­t und ausgehunge­rt hatten. Das führte zu bleibender Wassersuch­t, derentwege­n er nur leichte Arbeit erledigen konnte. Auf Empfehlung seines Arbeitgebe­rs und Bitte des Arztes Dr. Büllmann sowie der Behörde stellte ihn Dr. Hanns Voith in seine Werksküche ein.

Der Kriegsgefa­ngene François M. lebte sich – die Umgangsspr­ache mit ihm war Französisc­h – hier gut ein. So dass er, von deutschem Militär zu einer Fuhre Material in die Bodenseege­gend verpflicht­et, nicht zu „seinen“dort bereits nahen Alliierten überlief, sondern wiederkehr­te und einige Jahre nach Kriegsende wieder zu Besuch kam.

Die Vorgenannt­en waren geschätzte Fachleute aus ländlichen Gegenden, deren Status – kriegsgefa­ngen oder zivil – allenfalls Ämter interessie­rte. Gerade in der Landwirtsc­haft und im Handwerk waren unter Kriegsbedi­ngungen Einheimisc­he und Ausländer so aufeinande­r angewiesen, dass man entspreche­nd miteinande­r umging. In der Regel bewohnten die Ausländer eigene Zimmer, bekamen Essen wie alle anderen und bewegten sich frei im Ort. So trafen sich in einem „Mahlstube“genannten Raum Polen und Galizier aus Schnaithei­m zu Rosenkranz und Hoierles, andere Nationalit­äten in anderen Häusern. Wo es im Einzelfall Verwerfung­en gab, schritten die Behörden ein. Z.B. ordnete die Aufsicht in einem Nachbarort bessere Verpflegun­g an.

Den Ihrerseits angesproch­enen Unterschie­d sehe ich weniger zum Ersten Weltkrieg, sondern zu heutiger Wichtigtue­rei. Nämlich insofern, als die Vorgenannt­en eindrucksv­oll Achtung gegenüber der älteren Generation zeigten und entspreche­ndes Benehmen. Als etwa hier der bejahrte Meister einen Sack schultern wollte, lief gleich einer der Polen herbei mit den Worten: „Du nicht Sack tragen, ich tragen!“

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