Falsches Bild von „Zwangsarbeitern“
Die Erinnerungen an ortsgeschichtliche Gegebenheiten sind lobens- und lesenswert. Jedoch sollten diese Darstellungen wirklichkeitsnah bleiben.
Sie schreiben, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter seien im Ersten Weltkrieg anders als im Zweiten Weltkrieg nicht in Lager gepfercht worden und angekettet gewesen. Im nahegelegten Umkehrschluss hätten Kreis-heidenheimer diesen Personenkreis in der letzten Kriegszeit in Lagern angekettet. Das ist doch Unsinn.
Selbst gegenüber dem inflationär gestreuten Begriff Zwangsarbeiter ist Vorsicht angebracht. Viele dergestalt pauschaliert Eingestufte kamen wegen Missständen in der Heimat selbstbestimmt nach Deutschland. So in Schnaitheim die junge Waise W., die nach eigener Aussage beim polnischen Baron nicht so viel verdiente, dass sie sich Schuhe leisten konnte. Sie kam bei einem
Landwirtspaar unter, das sie später adoptierte. Der hier tätige Wladislaw W. beschrieb die sozialen Zustände seiner Heimat ähnlich, zu denen nach Sowjetisierung blankes Entsetzen kam: „Aus unseren Kirchen sie machen Stajni!“– Pferdeställe. Als nach Kriegsende die Us-verwalter ihn zur Rückkehr aufforderten, wies er das, auch aus Furcht vor der Roten Armee, entrüstet zurück, blieb noch Monate bis zur Sichelhenke und ging dann in die USA.
Berichte über die schlimme Behandlung russischer Heimkehrer schon nach dem Ersten Weltkrieg – etwa eines Bekannten des in Schnaitheim verbliebenen deutsch-russischen „Kulaken“H. – wirkten also. Auch der ukrainische Kollege des genannten W., Nikolaj M., hatte die deutsche Kommandantur erfolgreich um Überstellung nach Deutschland gebeten, nachdem ihn die Bolschewisten misshandelt und ausgehungert hatten. Das führte zu bleibender Wassersucht, derentwegen er nur leichte Arbeit erledigen konnte. Auf Empfehlung seines Arbeitgebers und Bitte des Arztes Dr. Büllmann sowie der Behörde stellte ihn Dr. Hanns Voith in seine Werksküche ein.
Der Kriegsgefangene François M. lebte sich – die Umgangssprache mit ihm war Französisch – hier gut ein. So dass er, von deutschem Militär zu einer Fuhre Material in die Bodenseegegend verpflichtet, nicht zu „seinen“dort bereits nahen Alliierten überlief, sondern wiederkehrte und einige Jahre nach Kriegsende wieder zu Besuch kam.
Die Vorgenannten waren geschätzte Fachleute aus ländlichen Gegenden, deren Status – kriegsgefangen oder zivil – allenfalls Ämter interessierte. Gerade in der Landwirtschaft und im Handwerk waren unter Kriegsbedingungen Einheimische und Ausländer so aufeinander angewiesen, dass man entsprechend miteinander umging. In der Regel bewohnten die Ausländer eigene Zimmer, bekamen Essen wie alle anderen und bewegten sich frei im Ort. So trafen sich in einem „Mahlstube“genannten Raum Polen und Galizier aus Schnaitheim zu Rosenkranz und Hoierles, andere Nationalitäten in anderen Häusern. Wo es im Einzelfall Verwerfungen gab, schritten die Behörden ein. Z.B. ordnete die Aufsicht in einem Nachbarort bessere Verpflegung an.
Den Ihrerseits angesprochenen Unterschied sehe ich weniger zum Ersten Weltkrieg, sondern zu heutiger Wichtigtuerei. Nämlich insofern, als die Vorgenannten eindrucksvoll Achtung gegenüber der älteren Generation zeigten und entsprechendes Benehmen. Als etwa hier der bejahrte Meister einen Sack schultern wollte, lief gleich einer der Polen herbei mit den Worten: „Du nicht Sack tragen, ich tragen!“
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