Mit Tempo durch erste 100 Tage
Präsident Joe Biden hat die ersten Ziele für den Auftakt seiner Amtszeit übertroffen. Doch die schwerste Aufgabe kommt noch: Die Versöhnung des gespaltenen Landes.
Nach 100 Tagen im Amt kann sich die Zwischenbilanz Joe Bidens, die traditionell gezogen wird, wenn dieser erste Meilenstein eines neuen Präsidenten erreicht ist, sehen lassen. Biden hat Fortschritte im Kampf gegen die Corona-pandemie erzielt, ein wichtiges Konjunkturprogramm im Kongress durchgesetzt und will umfangreiche Maßnahmen ergreifen, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Zudem hat er den Bündnispartnern in der Nato und anderen Regionen bewiesen, dass die neue Regierung auf internationale Kooperation anstelle von Konfrontation setzt. Trotz der Teilerfolge steht der Präsident aber vor großen Herausforderungen, allen voran die Überwindung der tiefen Spaltung im eigenen Land – ein Teil des Vermächtnisses seines Vorgängers Donald Trump.
Die ruhige, systematische Vorgehensweise des neuen Präsidenten unterstreicht, dass sich nach dem Außenseiter Trump politische Erfahrung als positives Attribut erweisen kann. Bereits im vergangenen Herbst hatte er überschaubare Zwischenziele angekündigt, die von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht nur erreicht, sondern übertroffen wurden. Vorrangig ging es dem Demokraten darum, der Pandemie Herr zu werden. Erst dann könne die Wirtschaft wieder öffnen. Folglich brachte er einen ehrgeizigen Aktionsplan in die Spur, der mittlerweile zu mehr als 200 Millionen Impfungen geführt hat und die Impfquote auf den vierthöchsten Stand aller Länder gebracht hat. Konsumenten und Unternehmen zeigen wieder Optimismus, die Wirtschaft brummt und die Us-notenbank rechnet für 2020 mit einer Wachstumsrate deutlich über 6 Prozent sowie einer Arbeitslosenquote, die bald so niedrig wie vor der Krise sein soll.
Anstatt sich in diesem Erfolg zu sonnen, wandte sich Biden auch anderen Projekten zu. Er brachte wie versprochen ein Konjunkturpaket im Wert von 1,9 Billionen Dollar durch den Kongress, wenn auch mit einer hauchdünnen Mehrheit. Die Hilfsmaßnahmen trugen ebenfalls zu dem robusten Aufschwung bei. Biden hob Trumps Entscheidung, das Pariser Klimaabkommen zu verlassen, auf und sorgt mit Dekreten dafür, dass fast jedes Regierungsressort Aufgaben bekommt, die dem Kampf gegen die Erderwärmung dienen. So muss das Finanzministerium einen Bericht über die Risiken des Klimawandels für die Finanzstabilität vorlegen. Staatsaufträge sollen bald nur noch an Unternehmen gehen, die ihren Co2-ausstoß nachweislich verringern, und bis 2030 will Biden sicherstellen, dass die Emissionen um mindestens 50 Prozent unter dem Niveau von 2005 liegen.
Der politische Ton ist vergiftet
Gleichwohl war nicht jeder Vorstoß vom Erfolg gekrönt. Dass Biden Dekrete seines Vorgängers aufhob, die die illegale Einwanderung entlang der Grenze zu Mexiko eindämmten, löste eine Flüchtlingswelle aus Zentralamerika aus, welche die Kapazitäten der Einwanderungsbehörden deutlich übersteigt. Auch muss sich der Präsident den Vorwurf gefallen lassen, entgegen seinem Versprechen, einen moderaten Kurs zu steuern, dem Druck des progressiven Parteiflügels nachgegeben zu haben – etwa bei jenen Direktzahlungen an Haushalte, die Bestandteil des Konjunkturgesetzes sind, nach Ansicht vieler aber überflüssig und zu teuer sind. Ein weiteres Zeichen für seinen angeblichen Linksruck sehen Kritiker im fast zwei Billionen Dollar schweren Paket, das gebührenfreies Studieren ebenso wie bezahlte Urlaube für berufstätige Eltern sowie Zuschüsse zur Krankenversicherung finanzieren soll.
Bidens wichtigste Aufgabe wird sein, eine tief gespaltene Nation wieder zusammenzuführen. Das wird ihm schwerfallen, denn der politische Ton ist vergiftet wie selten zuvor. Das zeigt sich an den jüngsten Umfragen führender Medienorganisation wie NBC News und der Washington Post. Demnach geben etwa 90 Prozent aller Demokraten dem Präsidenten gute Noten, während nur jeder achte Republikaner mit Bidens Amtsleistung zufrieden ist. Biden wird nun versuchen, wenigstens darauf hinzuwirken, dass Republikaner und Demokraten wieder aufeinander zugehen und an einem Strang ziehen. Fortschritte sind dringend notwendig, egal ob bei Steuer-, Justiz-, Sozialoder Einwanderungsreform. Leicht wird er es nicht haben, doch der Präsident galt während seiner gesamten Karriere als Integrationsfigur und Versöhner, der auch mit politischen Gegnern produktiv zusammenarbeiten kann. Diese Fähigkeiten sind nun gefragter denn je.
Biden galt stets als Integrationsfigur.