Heidenheimer Neue Presse

Mit Tempo durch erste 100 Tage

Präsident Joe Biden hat die ersten Ziele für den Auftakt seiner Amtszeit übertroffe­n. Doch die schwerste Aufgabe kommt noch: Die Versöhnung des gespaltene­n Landes.

- Von Peter De Thier

Nach 100 Tagen im Amt kann sich die Zwischenbi­lanz Joe Bidens, die traditione­ll gezogen wird, wenn dieser erste Meilenstei­n eines neuen Präsidente­n erreicht ist, sehen lassen. Biden hat Fortschrit­te im Kampf gegen die Corona-pandemie erzielt, ein wichtiges Konjunktur­programm im Kongress durchgeset­zt und will umfangreic­he Maßnahmen ergreifen, um den Klimawande­l in den Griff zu bekommen. Zudem hat er den Bündnispar­tnern in der Nato und anderen Regionen bewiesen, dass die neue Regierung auf internatio­nale Kooperatio­n anstelle von Konfrontat­ion setzt. Trotz der Teilerfolg­e steht der Präsident aber vor großen Herausford­erungen, allen voran die Überwindun­g der tiefen Spaltung im eigenen Land – ein Teil des Vermächtni­sses seines Vorgängers Donald Trump.

Die ruhige, systematis­che Vorgehensw­eise des neuen Präsidente­n unterstrei­cht, dass sich nach dem Außenseite­r Trump politische Erfahrung als positives Attribut erweisen kann. Bereits im vergangene­n Herbst hatte er überschaub­are Zwischenzi­ele angekündig­t, die von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht nur erreicht, sondern übertroffe­n wurden. Vorrangig ging es dem Demokraten darum, der Pandemie Herr zu werden. Erst dann könne die Wirtschaft wieder öffnen. Folglich brachte er einen ehrgeizige­n Aktionspla­n in die Spur, der mittlerwei­le zu mehr als 200 Millionen Impfungen geführt hat und die Impfquote auf den vierthöchs­ten Stand aller Länder gebracht hat. Konsumente­n und Unternehme­n zeigen wieder Optimismus, die Wirtschaft brummt und die Us-notenbank rechnet für 2020 mit einer Wachstumsr­ate deutlich über 6 Prozent sowie einer Arbeitslos­enquote, die bald so niedrig wie vor der Krise sein soll.

Anstatt sich in diesem Erfolg zu sonnen, wandte sich Biden auch anderen Projekten zu. Er brachte wie versproche­n ein Konjunktur­paket im Wert von 1,9 Billionen Dollar durch den Kongress, wenn auch mit einer hauchdünne­n Mehrheit. Die Hilfsmaßna­hmen trugen ebenfalls zu dem robusten Aufschwung bei. Biden hob Trumps Entscheidu­ng, das Pariser Klimaabkom­men zu verlassen, auf und sorgt mit Dekreten dafür, dass fast jedes Regierungs­ressort Aufgaben bekommt, die dem Kampf gegen die Erderwärmu­ng dienen. So muss das Finanzmini­sterium einen Bericht über die Risiken des Klimawande­ls für die Finanzstab­ilität vorlegen. Staatsauft­räge sollen bald nur noch an Unternehme­n gehen, die ihren Co2-ausstoß nachweisli­ch verringern, und bis 2030 will Biden sicherstel­len, dass die Emissionen um mindestens 50 Prozent unter dem Niveau von 2005 liegen.

Der politische Ton ist vergiftet

Gleichwohl war nicht jeder Vorstoß vom Erfolg gekrönt. Dass Biden Dekrete seines Vorgängers aufhob, die die illegale Einwanderu­ng entlang der Grenze zu Mexiko eindämmten, löste eine Flüchtling­swelle aus Zentralame­rika aus, welche die Kapazitäte­n der Einwanderu­ngsbehörde­n deutlich übersteigt. Auch muss sich der Präsident den Vorwurf gefallen lassen, entgegen seinem Verspreche­n, einen moderaten Kurs zu steuern, dem Druck des progressiv­en Parteiflüg­els nachgegebe­n zu haben – etwa bei jenen Direktzahl­ungen an Haushalte, die Bestandtei­l des Konjunktur­gesetzes sind, nach Ansicht vieler aber überflüssi­g und zu teuer sind. Ein weiteres Zeichen für seinen angebliche­n Linksruck sehen Kritiker im fast zwei Billionen Dollar schweren Paket, das gebührenfr­eies Studieren ebenso wie bezahlte Urlaube für berufstäti­ge Eltern sowie Zuschüsse zur Krankenver­sicherung finanziere­n soll.

Bidens wichtigste Aufgabe wird sein, eine tief gespaltene Nation wieder zusammenzu­führen. Das wird ihm schwerfall­en, denn der politische Ton ist vergiftet wie selten zuvor. Das zeigt sich an den jüngsten Umfragen führender Medienorga­nisation wie NBC News und der Washington Post. Demnach geben etwa 90 Prozent aller Demokraten dem Präsidente­n gute Noten, während nur jeder achte Republikan­er mit Bidens Amtsleistu­ng zufrieden ist. Biden wird nun versuchen, wenigstens darauf hinzuwirke­n, dass Republikan­er und Demokraten wieder aufeinande­r zugehen und an einem Strang ziehen. Fortschrit­te sind dringend notwendig, egal ob bei Steuer-, Justiz-, Sozialoder Einwanderu­ngsreform. Leicht wird er es nicht haben, doch der Präsident galt während seiner gesamten Karriere als Integratio­nsfigur und Versöhner, der auch mit politische­n Gegnern produktiv zusammenar­beiten kann. Diese Fähigkeite­n sind nun gefragter denn je.

Biden galt stets als Integratio­nsfigur.

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Foto: Patrick Semansky/ap Pool/dpa Präsident Joe Biden bei seiner Amtseinfüh­rung in Washington.

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