„Tempo 30 reduziert Lärm“
Geräusche können die Gesundheit gefährden. Der Forscher Michael Jäcker erklärt, warum es eine Lärmschutz-wende braucht.
Verkehrslärm kann zu Bluthochdruck, Herzinfarkten oder Depressionen führen. Anlässlich des internationalen Tages gegen Lärm an diesem Mittwoch erklärt der Lärmforscher Michael Jäcker, was die Politik dagegen tun kann.
Was ist Lärm? Michael Jäcker:
Alle Geräusche, die uns beeinträchtigen können, bezeichnen wir als Lärm. Beeinträchtigungen sind Störungen und Belästigungen, die zu Gesundheitsgefahren wie Schädigungen des Ohrs oder Herzinfarkten führen können.
Wie macht Lärm uns krank?
Geräusche können Prozesse im Körper verändern. Sie können die feinen Haarzellen im Ohr irreparabel schädigen. Geräusche können aber auch Stressreaktionen hervorrufen. In der Evolution ist angelegt, dass wir sensibel auf Geräusche reagieren. Das Ohr ist immer wach. Früher hatte das eine wichtige Bedeutung, in der heutigen Gesellschaft aber nicht mehr. Das führt zu Stressreaktionen. Bluthochdruck ist eine mögliche Folge. Langfristig kann es zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten kommen. Auch Depressionen können eine Folge von lang andauernden Geräuschen sein.
Hängt es von der Länge der Geräuschbelastung ab, wie schwer die Gesundheitsschäden letztlich sind?
Die Risiken für Herzinfarkte oder Depressionen steigen, je länger man Geräuschen ausgesetzt ist. Wenn jemand zehn Jahre lang an einer stark verkehrsbelasteten Straße wohnt, ist das Risiko zu erkranken deutlich ausgeprägter, als wenn man eine Nacht in einem Hotel an einer Hauptverkehrsstraße übernachtet hat. Das Problem ist auch, dass körperliche Veränderungen unbewusst geschehen – beispielsweise im Schlaf. Schlafstörungen sind eine der gravierendsten Folgen der Lärmeinwirkungen und können ein Gesundheitsrisiko darstellen.
Ist Fluglärm schlimmer als Krach durch die Straße?
Die Untersuchungen vor Corona zeigen: Ist der Pegel von Flugund Straßenlärm gleich, reagieren die Menschen bei Fluglärm negativer als bei Straßen- und Schienenverkehr.
Der Bund hat viel gemacht, um Lärm zu reduzieren. So wurden 2000 Kilometer Schiene saniert. Reicht das?
Der Schienenverkehr ist ein gutes Beispiel für eine aktive Politik der Bundesregierung in Sachen Lärmschutz. In Deutschland fahren nur noch ganz wenig Güterwagen, die Graugussklotzbremsen haben. Diese hatten dazu geführt, dass Güterwagen die lauteste Fahrzeugkategorie waren. Zudem haben wir ein Lärmsanierungsprogramm. Trotzdem geht es zu langsam voran. Nach Prognosen der Deutschen Bahn wäre die Lärmsanierung erst 2050 abgeschlossen. Doch wir haben Menschen, die seit 30 Jahren Lärm ausgesetzt sind. Das bedeutet, sie müssen ein ganzes Leben darauf warten, bis das Problem gelöst ist. Da muss also mehr Tempo rein.
Was kann die Politik noch tun?
Ein weiteres großes Problem ist, dass wir bislang nur eine isolierte Betrachtung der Lärmquellen haben. Die meisten Menschen, die Lärm ausgesetzt sind, haben mehr als eine Quelle. Man müsste also die Gesamtbeeinträchtigung bewerten und einen Zielwert festlegen.
Wie lässt sich Lärm reduzieren?
Wichtig ist, die Fahrzeugmengen zu reduzieren. Wir brauchen nicht nur beim Klimaschutz eine Verkehrswende, wir brauchen auch beim Lärmschutz eine Wende. Wir müssen eine Verlagerung haben auf den Öffentlichen Nahverkehr, das Rad und Sharing-mobilitätsmöglichkeiten. Außerdem können wir die Fahrzeuge leiser machen, indem wir leise Reifen aufspannen. Wir können auch Straßenoberflächen optimieren und den Straßenraum umgestalten, also die Fahrbahn in der Mitte konzentrieren.
Sind Tempolimits sinnvoll?
Ja. Wir müssten eine Regelgeschwindigkeit innerorts von Tempo 30 statt Tempo 50 einführen, wie das Brüssel seit Anfang des Jahres macht. Doch auch jeder Einzelne kann zur Lärmreduzierung beitragen. Zum Beispiel, indem er sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen hält, niedertourig und vorausschauend fährt und aufs Rad oder Bus und Bahn umsteigt.