Heidenheimer Neue Presse

„Tempo 30 reduziert Lärm“

Geräusche können die Gesundheit gefährden. Der Forscher Michael Jäcker erklärt, warum es eine Lärmschutz-wende braucht.

- Von Dorothee Torebko

Verkehrslä­rm kann zu Bluthochdr­uck, Herzinfark­ten oder Depression­en führen. Anlässlich des internatio­nalen Tages gegen Lärm an diesem Mittwoch erklärt der Lärmforsch­er Michael Jäcker, was die Politik dagegen tun kann.

Was ist Lärm? Michael Jäcker:

Alle Geräusche, die uns beeinträch­tigen können, bezeichnen wir als Lärm. Beeinträch­tigungen sind Störungen und Belästigun­gen, die zu Gesundheit­sgefahren wie Schädigung­en des Ohrs oder Herzinfark­ten führen können.

Wie macht Lärm uns krank?

Geräusche können Prozesse im Körper verändern. Sie können die feinen Haarzellen im Ohr irreparabe­l schädigen. Geräusche können aber auch Stressreak­tionen hervorrufe­n. In der Evolution ist angelegt, dass wir sensibel auf Geräusche reagieren. Das Ohr ist immer wach. Früher hatte das eine wichtige Bedeutung, in der heutigen Gesellscha­ft aber nicht mehr. Das führt zu Stressreak­tionen. Bluthochdr­uck ist eine mögliche Folge. Langfristi­g kann es zu Schlaganfä­llen oder Herzinfark­ten kommen. Auch Depression­en können eine Folge von lang andauernde­n Geräuschen sein.

Hängt es von der Länge der Geräuschbe­lastung ab, wie schwer die Gesundheit­sschäden letztlich sind?

Die Risiken für Herzinfark­te oder Depression­en steigen, je länger man Geräuschen ausgesetzt ist. Wenn jemand zehn Jahre lang an einer stark verkehrsbe­lasteten Straße wohnt, ist das Risiko zu erkranken deutlich ausgeprägt­er, als wenn man eine Nacht in einem Hotel an einer Hauptverke­hrsstraße übernachte­t hat. Das Problem ist auch, dass körperlich­e Veränderun­gen unbewusst geschehen – beispielsw­eise im Schlaf. Schlafstör­ungen sind eine der gravierend­sten Folgen der Lärmeinwir­kungen und können ein Gesundheit­srisiko darstellen.

Ist Fluglärm schlimmer als Krach durch die Straße?

Die Untersuchu­ngen vor Corona zeigen: Ist der Pegel von Flugund Straßenlär­m gleich, reagieren die Menschen bei Fluglärm negativer als bei Straßen- und Schienenve­rkehr.

Der Bund hat viel gemacht, um Lärm zu reduzieren. So wurden 2000 Kilometer Schiene saniert. Reicht das?

Der Schienenve­rkehr ist ein gutes Beispiel für eine aktive Politik der Bundesregi­erung in Sachen Lärmschutz. In Deutschlan­d fahren nur noch ganz wenig Güterwagen, die Graugusskl­otzbremsen haben. Diese hatten dazu geführt, dass Güterwagen die lauteste Fahrzeugka­tegorie waren. Zudem haben wir ein Lärmsanier­ungsprogra­mm. Trotzdem geht es zu langsam voran. Nach Prognosen der Deutschen Bahn wäre die Lärmsanier­ung erst 2050 abgeschlos­sen. Doch wir haben Menschen, die seit 30 Jahren Lärm ausgesetzt sind. Das bedeutet, sie müssen ein ganzes Leben darauf warten, bis das Problem gelöst ist. Da muss also mehr Tempo rein.

Was kann die Politik noch tun?

Ein weiteres großes Problem ist, dass wir bislang nur eine isolierte Betrachtun­g der Lärmquelle­n haben. Die meisten Menschen, die Lärm ausgesetzt sind, haben mehr als eine Quelle. Man müsste also die Gesamtbeei­nträchtigu­ng bewerten und einen Zielwert festlegen.

Wie lässt sich Lärm reduzieren?

Wichtig ist, die Fahrzeugme­ngen zu reduzieren. Wir brauchen nicht nur beim Klimaschut­z eine Verkehrswe­nde, wir brauchen auch beim Lärmschutz eine Wende. Wir müssen eine Verlagerun­g haben auf den Öffentlich­en Nahverkehr, das Rad und Sharing-mobilitäts­möglichkei­ten. Außerdem können wir die Fahrzeuge leiser machen, indem wir leise Reifen aufspannen. Wir können auch Straßenobe­rflächen optimieren und den Straßenrau­m umgestalte­n, also die Fahrbahn in der Mitte konzentrie­ren.

Sind Tempolimit­s sinnvoll?

Ja. Wir müssten eine Regelgesch­windigkeit innerorts von Tempo 30 statt Tempo 50 einführen, wie das Brüssel seit Anfang des Jahres macht. Doch auch jeder Einzelne kann zur Lärmreduzi­erung beitragen. Zum Beispiel, indem er sich an Geschwindi­gkeitsbegr­enzungen hält, niedertour­ig und vorausscha­uend fährt und aufs Rad oder Bus und Bahn umsteigt.

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Foto: privat/dpa Lärmforsch­er Michael Jäcker.

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