Heidenheimer Neue Presse

Die Pleitewell­e

- Dieter Keller zu Corona-insolvenze­n swp@leitartike­l.de

Überrollt in den nächsten Monaten eine gewaltige Pleitewell­e die deutsche Wirtschaft? Das befürchten viele, Politiker und Wirtschaft­swissensch­aftler, Banken und Versichere­r. Ob Einzelhand­el, Gastronomi­e oder Freizeitbe­reich – überall heißt es, Zehntausen­de von Unternehme­n stünden finanziell mit dem Rücken an der Wand. Ende April ist die letzte Ausnahme von der Regel ausgelaufe­n, dass innerhalb von drei Wochen Insolvenz angemeldet werden muss, wenn kein Geld mehr in der Kasse oder alles Eigenkapit­al aufgebrauc­ht ist. Angesichts der Corona-pandemie war dies ausgesetzt worden, zuletzt weil viele Betriebe noch sehnsüchti­g auf Hilfsgelde­r aus den verschiede­nen Programmen gewartet hatten. Jetzt sollen die meisten geflossen sein.

Viele Unternehme­n hat das zeitweise Aussetzen der Meldepflic­ht gerettet. Zumindest vorübergeh­end und wenn, dann meist eher holprig als glatt. Es war aber auch ein erhebliche­s Risiko. Denn Lieferante­n vertrauen darauf, dass ihre Kunden tatsächlic­h liquide sind und sie ihre Rechnungen rasch bezahlen. Mit gutem Grund gibt es die Angst vor „Zombie-unternehme­n“, die nicht zum Insolvenzg­ericht gehen, obwohl sie längst pleite sind. Sie bestellen weiter fröhlich Leistungen, auch wenn sie wissen, dass sie die nie bezahlen können. Damit wächst ihr Schuldenbe­rg immer weiter, und das droht auch andere Firmen mit in den Abgrund zu reißen.

So tragisch jede Insolvenz ist, ob für Unternehme­r, Kapitalgeb­er oder Mitarbeite­r – das Scheitern gehört zur Marktwirts­chaft wie der große Erfolg. Oder wie es Deutsche-bank-chef Christian Sewing ausdrückte: „Wir müssen ein gewisses Maß an kreativer Zerstörung zulassen“, auch wenn sich das aus seinem Mund leicht arrogant anhört. Manche Geschäftsi­dee hat sich überholt, neue Ideen funktionie­ren nicht so wie erhofft. Aber zumindest hat es mal jemand gewagt.

Ein zentrales Problem ist, wie man mit Insolvenze­n umgeht. Bei vielen gilt das Scheitern immer noch als Makel, der lange anhaftet. Es gehört beim Unternehme­r natürlich zum Berufsrisi­ko, wie schon das Wort sagt: Wer nichts unternimmt, kann auch nicht erfolgreic­h sein. Die Marktwirts­chaft lebt davon, dass jemand Risiken eingeht, Ideen umsetzt und dabei entweder eigenes Kapital riskiert oder Investoren findet. Idealerwei­se

Die Pleite gehört auch für erfolgreic­he Unternehme­r zum Leben, und eine Insolvenz ist kein dauerhafte­r Makel.

entwickeln sich Startups zu milliarden­schweren Konzernen. Leider gelingt das den wenigsten. Wer aufgeben muss, dem hängt das leicht sein Leben lang an. Dabei gehört die Pleite auch für erfolgreic­he Gründer zum Leben, und eine Insolvenz ist kein Makel, jedenfalls dann nicht, wenn es redlich zugeht.

Das Insolvenzr­echt ist da weiter als viele Bürger: Seit über zwei Jahrzehnte­n steht nicht mehr im Zentrum, Unternehme­n in Schieflage abzuwickel­n, sondern zu sanieren. Das sollte hoffentlic­h auch in vielen Fällen gelingen, die durch Corona ins Wanken geraten. Wo die Rettung misslingt, brauchen alle Beteiligte­n eine neue Chance. Viele gescheiter­te Existenzen wären Gift für den guten Ruf der Marktwirts­chaft.

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