Die Pleitewelle
Überrollt in den nächsten Monaten eine gewaltige Pleitewelle die deutsche Wirtschaft? Das befürchten viele, Politiker und Wirtschaftswissenschaftler, Banken und Versicherer. Ob Einzelhandel, Gastronomie oder Freizeitbereich – überall heißt es, Zehntausende von Unternehmen stünden finanziell mit dem Rücken an der Wand. Ende April ist die letzte Ausnahme von der Regel ausgelaufen, dass innerhalb von drei Wochen Insolvenz angemeldet werden muss, wenn kein Geld mehr in der Kasse oder alles Eigenkapital aufgebraucht ist. Angesichts der Corona-pandemie war dies ausgesetzt worden, zuletzt weil viele Betriebe noch sehnsüchtig auf Hilfsgelder aus den verschiedenen Programmen gewartet hatten. Jetzt sollen die meisten geflossen sein.
Viele Unternehmen hat das zeitweise Aussetzen der Meldepflicht gerettet. Zumindest vorübergehend und wenn, dann meist eher holprig als glatt. Es war aber auch ein erhebliches Risiko. Denn Lieferanten vertrauen darauf, dass ihre Kunden tatsächlich liquide sind und sie ihre Rechnungen rasch bezahlen. Mit gutem Grund gibt es die Angst vor „Zombie-unternehmen“, die nicht zum Insolvenzgericht gehen, obwohl sie längst pleite sind. Sie bestellen weiter fröhlich Leistungen, auch wenn sie wissen, dass sie die nie bezahlen können. Damit wächst ihr Schuldenberg immer weiter, und das droht auch andere Firmen mit in den Abgrund zu reißen.
So tragisch jede Insolvenz ist, ob für Unternehmer, Kapitalgeber oder Mitarbeiter – das Scheitern gehört zur Marktwirtschaft wie der große Erfolg. Oder wie es Deutsche-bank-chef Christian Sewing ausdrückte: „Wir müssen ein gewisses Maß an kreativer Zerstörung zulassen“, auch wenn sich das aus seinem Mund leicht arrogant anhört. Manche Geschäftsidee hat sich überholt, neue Ideen funktionieren nicht so wie erhofft. Aber zumindest hat es mal jemand gewagt.
Ein zentrales Problem ist, wie man mit Insolvenzen umgeht. Bei vielen gilt das Scheitern immer noch als Makel, der lange anhaftet. Es gehört beim Unternehmer natürlich zum Berufsrisiko, wie schon das Wort sagt: Wer nichts unternimmt, kann auch nicht erfolgreich sein. Die Marktwirtschaft lebt davon, dass jemand Risiken eingeht, Ideen umsetzt und dabei entweder eigenes Kapital riskiert oder Investoren findet. Idealerweise
Die Pleite gehört auch für erfolgreiche Unternehmer zum Leben, und eine Insolvenz ist kein dauerhafter Makel.
entwickeln sich Startups zu milliardenschweren Konzernen. Leider gelingt das den wenigsten. Wer aufgeben muss, dem hängt das leicht sein Leben lang an. Dabei gehört die Pleite auch für erfolgreiche Gründer zum Leben, und eine Insolvenz ist kein Makel, jedenfalls dann nicht, wenn es redlich zugeht.
Das Insolvenzrecht ist da weiter als viele Bürger: Seit über zwei Jahrzehnten steht nicht mehr im Zentrum, Unternehmen in Schieflage abzuwickeln, sondern zu sanieren. Das sollte hoffentlich auch in vielen Fällen gelingen, die durch Corona ins Wanken geraten. Wo die Rettung misslingt, brauchen alle Beteiligten eine neue Chance. Viele gescheiterte Existenzen wären Gift für den guten Ruf der Marktwirtschaft.