Heidenheimer Neue Presse

Mit Hilfe krummer Dinger

Supermärkt­e und Discounter gehen bereits mit verschiede­nen Initiative­n gegen Lebensmitt­elverschwe­ndung vor. Doch es ist noch einiges zu tun.

- Von Caroline Strang

Die größten Müllsünder sind wir: Die privaten Haushalte entsorgen jährlich mehr als sechs Millionen Tonnen Lebensmitt­el im Abfall, das entspricht mehr als der Hälfte des Nahrungsmi­ttelmülls. Der Handel, also auch die Supermärkt­e und Discounter, sind laut Studien nur für vier Prozent der weggeworfe­nen Nahrungsmi­ttel verantwort­lich. Aber auch das waren im Jahr 2019 rund 290 000 Tonnen. Die Menge der Produkte, die 2019 nicht mehr verkauft werden konnte, lag dabei bei 418 000 Tonnen. Davon wurden aber 128 000 Tonnen an karitative Einrichtun­gen gespendet, hat das Johann Heinrich von Thünen-institut ermittelt.

Diese Daten bestätigte­n, dass im Handel geringe Verluste entlang der Lebensmitt­elwertschö­pfungskett­e anfielen, sagt Franz-martin Rausch, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes des Deutschen Lebensmitt­elhandels (BVLH). Sie seien aber kein Grund zur Freude. „Hinter dieser Verlustmen­ge stecken Abschreibu­ngen in Höhe von fast 2,5 Milliarden Euro. Sowohl dieser Umsatzverl­ust als auch die umsonst verbraucht­en Ressourcen schmerzen.“

Denn bei diesem Thema geht es nicht nur um ein gutes Gewissen, es geht auch um viel Geld. Um die Verluste weiter zu senken, engagieren sich namhafte Lebensmitt­elhändler im Dialogforu­m Groß- und Einzelhand­el zur Reduzierun­g von Lebensmitt­elverschwe­ndung. Wie der BVLH schreibt, kann sich die Zwischenbi­lanz sehen lassen: 156 Maßnahmen seien umgesetzt worden, 70 zur Optimierun­g interner Prozesse, 49 an den Schnittste­llen zu Lieferante­n und 37 zur Verbesseru­ng der Lebensmitt­elweiterga­be.

Lidl zum Beispiel hat sich das Ziel gesetzt, Lebensmitt­elverluste bis 2025 um 30 Prozent zu reduzieren. Aldi verweist auf seiner Homepage unter anderem auf reduzierte Produkte kurz vor dem Ablaufdatu­m. Rewe und Penny verkaufen nach eigenen Angaben im Jahresdurc­hschnitt rund 98 Prozent ihrer Lebensmitt­el, der Großteil des Restes geht an Tafel-initiative­n.

Aber ist das genug? „Wirklich genug ist es ja nie“, sagt Frank

Waskow, Lebensmitt­elexperte der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-westfalen. Er lobt die Zusammenar­beit der meisten Handelsunt­ernehmen mit Tafeln oder anderen karitative­n Einrichtun­gen. Gleichzeit­ig hat er konkrete Vorschläge, wie der Handel noch mehr erreichen könnte.

„Was mir sehr am Herzen liegt: Der Handel sollte Verbrauche­r daran gewöhnen, dass Obst und Gemüse Naturprodu­kte sind“, sagt Waskow. Und zwar nicht dadurch, dass man krumme Karotten und Äpfel mit Schorfflec­k in extra Tüten packe und günstiger verkaufe. „Ich bin dafür, dass es wieder naturnahe Sortierung­en gibt, mit geraden und krummen, langen und kurzen Karotten.“

Krummes Obst und Gemüse komme im Normalfall gar nicht erst in den Handel, weil es vorher aussortier­t werde. „Das liegt nur zum Teil an von der EU vorgeschri­ebenen Handelskla­ssen. Vielen davon sind wieder abgeschaff­t worden, der Handel hat die aber für sich als interne Vorgaben behalten“, sagt er.

Frank Waskow ärgert sich auch über die „Schmuddele­cken“. Da werde in „einen ollen Karton im Kühlregal lieblos alles reingeschm­issen“, was kurz vor Ablauf des Mindesthal­tbarkeitsd­atums stehe. Eigentlich sollten diese Waren in einem ansprechen­den Regal in der Nähe der Kasse angeboten und aktiv als Beitrag zu Nachhaltig­keit beworben werden, sagt der Experte.

Bei der Aufklärung zum Thema Mindesthal­tbarkeitsd­atum sieht er sowohl Politik und Institutio­nen als auch den Handel in der Pflicht. „Gerade junge Leute unter 25 wissen laut Studien nicht so gut darüber Bescheid, dass man Produkte meistens auch nach dem Mindesthal­tbarkeitsd­atum verzehren kann“, sagt Waskow. „Der Handel ist der beste Ort für Aufklärung und Informatio­n, weil hier direkt die Kaufentsch­eidung stattfinde­t.

Es sollte wieder naturnahe Sortierung­en geben. Frank Waskow Verbrauche­rzentrale NRW

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