Heidenheimer Neue Presse

LKA zählt rund 500 ungeklärte Fälle

Das Landeskrim­inalamt Baden-württember­g hat einen neuen Aufgabenbe­reich für „Cold Cases“eingericht­et. Altfälle sollen dadurch besser bearbeitet und Serien früher erkannt werden.

- Von Dominique Leibbrand

Eine Frau wird an einem Sommeraben­d auf offener Straße erstochen. 25 Jahre bleibt der Täter verschwund­en – bis die Polizei mittels verbessert­er Dna-technik doch noch einen Treffer landet. Seit einem halben Jahr sitzt der Ex-topmanager Hartmut M. in Stuttgart auf der Anklageban­k, weil er die Künstlerin Brigitta J. 1995 ermordet haben soll. Das Urteil dürfte in den nächsten Wochen fallen. Ein Cold Case, der plötzlich wieder brandaktue­ll ist.

In den Archiven der baden-württember­gischen Polizei schlummern hunderte Fälle wie der von Brigitta J.: Tötungsdel­ikte, die auf ihre Aufklärung warten. Immer wieder gelingt es der Polizei auch nach Jahrzehnte­n, einen alten Fall zu lösen. Um die Arbeit und damit womöglich auch die Schlagzahl aber noch zu verbessern, hat das Landeskrim­inalamt jetzt einen dauerhafte­n Aufgabenbe­reich für solche Coldcase-fälle eingericht­et. Der Startschus­s ist am 1. März gefallen.

Die Rolle von stummen Zeugen

Drei Mitarbeite­r hat das LKA für die Aufgabe abgestellt. Ihr Bereich ist am Kriminalte­chnischen Institut (KTI) angesiedel­t. Aus gutem Grund, wie dessen Leiter Axel Mögelin sagt. Bei einem Cold Case sei der erste „Anfasser“, also der erste Ansatzpunk­t, oft der objektive Tatbestand, sprich: das, was am Tatort an Spuren gesichert wurde. „Nach zehn oder 20 Jahren geht manchmal noch was über Zeugen, oft sind es aber vor allem die stummen Zeugen – DNA, Fasern, Pollen –, die auch nach Jahren noch objektiv eine Täterschaf­t belegen oder wichtige Hinweise können“, erklärt der 47-Jährige. Obendrein kenne man am Institut immer die neuesten kriminalte­chnischen Entwicklun­gen.

Aktuell gehe man grob von rund 500 Cold-case-fällen in Baden-württember­g aus, sagt der Kti-leiter. Dazu zählen vollendete, vorsätzlic­he Tötungsdel­ikte, die nicht oder nur teilweise aufgeklärt wurden, sowie Vermissten­fälle, bei denen ein Tötungsdel­ikt im Raum steht – und unbekannte Tote. Zudem sollen auch Delikte bearbeitet werden, bei denen es zwar beim Versuch geblieben ist, die aber stark in die Öffentlich­keit ausgestrah­lt haben.

Die neue Cold-case-einheit versteht sich vor allem als Serviceste­lle und Partner für die Präsidien im Land, bei denen die reine Ermittlung­sarbeit verbleibt. Die Lka-mitarbeite­r vermitteln Experten und zeigen, so die Zielsetzun­g, mögliche neue Ermittlung­sansätze auf, weiten quasi den Blick: Wurden alle relevanten Zeugen vernommen? Welche Asservate sollte man neu untersuche­n? Ist die Tatthese von damals aus heutiger Sicht noch logisch? Zugleich verstehe man sich als Dienstleis­ter, sagt Mögelin: „Wir sammeln – ganz banal – gerade alte Abspielger­äte, für den Fall dass sich bei Asservaten zum

Beispiel alte Vhs-kassetten oder 3,5-Zoll-disketten finden“, erklärt der Kti-leiter.

Die Erfahrunge­n aus verschiede­nen Cold-case-ermittlung­en im In- und Ausland sollen die Kollegen bündeln und daraus Handlungsa­nweisungen ableiten. Auch als Folge aus der Nsu-mordserie sollen Anfragen aus anderen Bundesländ­ern oder dem Ausland zentral in Stuttgart bearbeitet werden, damit eine Stelle den Überblick behält und Zusammenhä­nge schneller erkennen kann.

Barcodes für Beweisstüc­ke

Qualitätss­icherung ist ein weiterer Punkt auf der To-do-liste. Ohne Scheu müssten Fehlerquel­len und Optimierun­gen identifizi­ert werden, um die zukünftige Arbeit beziehungs­weise die Ausund Weiterbild­ung auf ein bestmöglic­hes Fundament zu stellen, sagt Mögelin. Bisher kämpften Altfall-ermittler zum Beispiel immer wieder damit, dass Akten unvollstän­dig waren. „Da müssen wir uns fragen, wie die Akten aufgebaut sein müssen, damit kein Detail verloren geht.“Für ein anderes Problem – verschwund­ene Asservate – soll es indes schon bald eine Lösung geben: Künftig sollen alle Beweisstüc­ke mit Barcodes versehen werden.

Mit dem neuen Arbeitsber­eich hebe man das Cold-case-management im Land auf ein neues Level, ist sich Mögelin sicher. „Es ist nicht so, dass wir bisher nichts getan hätten. Aber jetzt gehen wir das Ganze strukturie­rter an.“Und das sei wichtig: „Ungeklärte Mordfälle sind für die Angehörige­n eine fortdauern­de Belastung. Ihnen fühlen wir uns besonders verpflicht­et.“

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Brigitta J. erhofften sich die Ermittler
Foto: Screenshot: ZDF „Aktenzeich­en XY“beschäftig­t sich mit ungeklärte­n Delikten. Auch im Fall Anfang 1996 neue Hinweise über die Tv-sendung. Brigitta J. erhofften sich die Ermittler

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