Für immer ohne Familie
In einigen Filmen und Serien haben Schimpansen mitgespielt. Doch was viele Menschen niedlich finden, hat für den Affen schwere Konsequenzen.
Die Familie Henning liebt ihren Schimpansen Charly so sehr, dass er mit am Esstisch sitzen darf. Der junge Affe trägt bunte Pullover und Schlaghosen und bleibt brav. 17 Jahre lang machte die außergewöhnliche Familie Schlagzeilen, doch seit 2012 hat man nichts mehr von ihr gehört.
Damals stellte das ZDF die erfolgreiche Fernsehserie „Unser Charly“ein. Der Schimpanse wurde extra für das Fernsehen trainiert, sonst wäre er wohl kaum ruhig geblieben. Allerdings standen insgesamt 14 Tiere vor der Kamera. Denn sind sie nach wenigen Jahren in der Pubertät, werden sie zu stark, aggressiv – und für Regisseure unbrauchbar. Das ZDF bestätigt das. Die beauftragte Produktionsfirma Phoenix Film gab die aussortierten Affen an ihren Besitzer zurück.
Die Tiere kehrten allerdings nicht in ihre Affen-familien zurück – sie wurden oft in Einzelkäfigen untergebracht. Nach Informationen dieser Zeitung gehörten die Schimpansen einer Firma in den USA. Tierschützer kritisierten schon vor mehr als zehn Jahren, dass die Film-affen dort nicht artgerecht gehalten würden. Andere Experten sehen jedoch ein grundsätzlicheres Problem: Dass die Tiere für ihre Auftritte vor der Kamera als Babys von ihren Eltern getrennt werden.
„Schimpansen-kinder haben eine enge Beziehung zu ihrer Mutter, sie werden bis zu fünf Jahre lang gesäugt“, sagt Julia Riedel von der Wild Chimpanzee Foundation
in Leipzig. Dementsprechend tragen die Affen-mamas ihre Kinder jahrelang. Erst wenn diese zehn bis zwölf Jahre alt sind, würden sie eigenständig. Männchen bleiben ein Leben lang in ihrer Geburtsgruppe, nur die Weibchen ziehen nach dem Erreichen der Geschlechtsreife in der Wildnis weiter und suchen sich eine neue Gruppe, um Inzucht zu vermeiden.“
Film-affen kaum integrierbar
„Da die enge Mutter-kindbindung über Jahre aufgebaut wird, können Schimpansen nach ihrer Filmkarriere nur selten mit Artgenossen zusammenleben“, sagt Riedel. „Am ehesten klappt das, wenn ein Weibchen neu dazukommt. Männchen werden von der Gruppe in der Regel als Feind betrachtet, angegriffen und möglicherweise getötet.“Nach wenigen Jahren als Filmtier steht den meisten dieser Affen also ein tristes, einsames Leben bevor. Und das oft jahrzehntelang: Schimpansen können 50 Jahre alt werden.
Zwei der Charly-affen, Walter und Baxter, leben heute in einem Naturpark in Texas. Laut einer Sprecherin hätten sie jahrelang zu zweit in einem Gehege gelebt. Dann habe man sie mit mehreren Weibchen zusammengebracht, das habe aber nicht funktioniert. Es sei geplant, dass Baxter demnächst mit einem anderen Schimpansen zusammenlebt.
„Am besten fände ich, wenn Menschenaffen und damit auch Schimpansen gar nicht in Gefangenschaft leben müssten. Aber wenn sie in Menschenobhut leben, kann man dies nicht ohne Tierleid beenden“, sagt der Primatologe Carsten Niemitz. Weil Affengruppen durch Sterbefälle nach und nach kleiner werden, müssten schließlich die letzten
Tiere in Einzelhaltung leben, was unzumutbar wäre. „Wichtige Teilnahmen an Artenschutzmaßnahmen müssten ebenfalls entfallen.“
2010 hatten Niemitz, damals Professor an der Freien Universität Berlin, und seine Mitarbeiterin Alla Gatz eine Studie vorgestellt, die die Folgen von Tv-auftritten für Schimpansen kritisiert. „Auf unsere Anfragen hat das ZDF keine Transparenz erkennen lassen“, sagt Niemitz. Er glaubt, dass der Sender „Unser Charly“als Reaktion auf die Studie eingestellt hat.
Tiertrainer sind keine Mütter
Tatsächlich hatte das ZDF drei Tage nach der Präsentation der Studie angekündigt, die Serie abzusetzen. Auf Nachfrage teilte der Sender aber keinen Grund für das Aus mit. Zur Haltung der Schimpansen hieß es, dass sie „in engem Kontakt mit den Tiertrainern“auf dem Gelände untergebracht waren, auf dem die Serie hauptsächlich gedreht wurde.
„Der Tiertrainer baut ein Vertrauensverhältnis des Jungtiers zu ihm auf – mit dem einzigen Zweck, dass das Schimpansenkind ‚funktioniert‘. Ein Mutter-kind-verhältnis will und kann er natürlich nicht ersetzen“, sagt Niemitz. Sonst könne man den Schimpansen nicht auf eine Filmkarriere vorbereiten.
Der Primatologe findet, dass Öffentlichkeit heute sensibler auf die Haltung von wilden Tieren reagiert. „Heute würde „Unser Charly“kaum noch gut angenommen werden.“