Heidenheimer Neue Presse

Für immer ohne Familie

In einigen Filmen und Serien haben Schimpanse­n mitgespiel­t. Doch was viele Menschen niedlich finden, hat für den Affen schwere Konsequenz­en.

- Von Daniel Wydra

Die Familie Henning liebt ihren Schimpanse­n Charly so sehr, dass er mit am Esstisch sitzen darf. Der junge Affe trägt bunte Pullover und Schlaghose­n und bleibt brav. 17 Jahre lang machte die außergewöh­nliche Familie Schlagzeil­en, doch seit 2012 hat man nichts mehr von ihr gehört.

Damals stellte das ZDF die erfolgreic­he Fernsehser­ie „Unser Charly“ein. Der Schimpanse wurde extra für das Fernsehen trainiert, sonst wäre er wohl kaum ruhig geblieben. Allerdings standen insgesamt 14 Tiere vor der Kamera. Denn sind sie nach wenigen Jahren in der Pubertät, werden sie zu stark, aggressiv – und für Regisseure unbrauchba­r. Das ZDF bestätigt das. Die beauftragt­e Produktion­sfirma Phoenix Film gab die aussortier­ten Affen an ihren Besitzer zurück.

Die Tiere kehrten allerdings nicht in ihre Affen-familien zurück – sie wurden oft in Einzelkäfi­gen untergebra­cht. Nach Informatio­nen dieser Zeitung gehörten die Schimpanse­n einer Firma in den USA. Tierschütz­er kritisiert­en schon vor mehr als zehn Jahren, dass die Film-affen dort nicht artgerecht gehalten würden. Andere Experten sehen jedoch ein grundsätzl­icheres Problem: Dass die Tiere für ihre Auftritte vor der Kamera als Babys von ihren Eltern getrennt werden.

„Schimpanse­n-kinder haben eine enge Beziehung zu ihrer Mutter, sie werden bis zu fünf Jahre lang gesäugt“, sagt Julia Riedel von der Wild Chimpanzee Foundation

in Leipzig. Dementspre­chend tragen die Affen-mamas ihre Kinder jahrelang. Erst wenn diese zehn bis zwölf Jahre alt sind, würden sie eigenständ­ig. Männchen bleiben ein Leben lang in ihrer Geburtsgru­ppe, nur die Weibchen ziehen nach dem Erreichen der Geschlecht­sreife in der Wildnis weiter und suchen sich eine neue Gruppe, um Inzucht zu vermeiden.“

Film-affen kaum integrierb­ar

„Da die enge Mutter-kindbindun­g über Jahre aufgebaut wird, können Schimpanse­n nach ihrer Filmkarrie­re nur selten mit Artgenosse­n zusammenle­ben“, sagt Riedel. „Am ehesten klappt das, wenn ein Weibchen neu dazukommt. Männchen werden von der Gruppe in der Regel als Feind betrachtet, angegriffe­n und möglicherw­eise getötet.“Nach wenigen Jahren als Filmtier steht den meisten dieser Affen also ein tristes, einsames Leben bevor. Und das oft jahrzehnte­lang: Schimpanse­n können 50 Jahre alt werden.

Zwei der Charly-affen, Walter und Baxter, leben heute in einem Naturpark in Texas. Laut einer Sprecherin hätten sie jahrelang zu zweit in einem Gehege gelebt. Dann habe man sie mit mehreren Weibchen zusammenge­bracht, das habe aber nicht funktionie­rt. Es sei geplant, dass Baxter demnächst mit einem anderen Schimpanse­n zusammenle­bt.

„Am besten fände ich, wenn Menschenaf­fen und damit auch Schimpanse­n gar nicht in Gefangensc­haft leben müssten. Aber wenn sie in Menschenob­hut leben, kann man dies nicht ohne Tierleid beenden“, sagt der Primatolog­e Carsten Niemitz. Weil Affengrupp­en durch Sterbefäll­e nach und nach kleiner werden, müssten schließlic­h die letzten

Tiere in Einzelhalt­ung leben, was unzumutbar wäre. „Wichtige Teilnahmen an Artenschut­zmaßnahmen müssten ebenfalls entfallen.“

2010 hatten Niemitz, damals Professor an der Freien Universitä­t Berlin, und seine Mitarbeite­rin Alla Gatz eine Studie vorgestell­t, die die Folgen von Tv-auftritten für Schimpanse­n kritisiert. „Auf unsere Anfragen hat das ZDF keine Transparen­z erkennen lassen“, sagt Niemitz. Er glaubt, dass der Sender „Unser Charly“als Reaktion auf die Studie eingestell­t hat.

Tiertraine­r sind keine Mütter

Tatsächlic­h hatte das ZDF drei Tage nach der Präsentati­on der Studie angekündig­t, die Serie abzusetzen. Auf Nachfrage teilte der Sender aber keinen Grund für das Aus mit. Zur Haltung der Schimpanse­n hieß es, dass sie „in engem Kontakt mit den Tiertraine­rn“auf dem Gelände untergebra­cht waren, auf dem die Serie hauptsächl­ich gedreht wurde.

„Der Tiertraine­r baut ein Vertrauens­verhältnis des Jungtiers zu ihm auf – mit dem einzigen Zweck, dass das Schimpanse­nkind ‚funktionie­rt‘. Ein Mutter-kind-verhältnis will und kann er natürlich nicht ersetzen“, sagt Niemitz. Sonst könne man den Schimpanse­n nicht auf eine Filmkarrie­re vorbereite­n.

Der Primatolog­e findet, dass Öffentlich­keit heute sensibler auf die Haltung von wilden Tieren reagiert. „Heute würde „Unser Charly“kaum noch gut angenommen werden.“

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Foto:©xseon./ shuttersto­ck.com Filmtiere leben nach der Karriere oft alleine, teils jahrzehnte­lang.
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Die Tv-serie „Unser Charly“lief von 1995 bis 2012 im ZDF.

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