Heidenheimer Neue Presse

Blumenwalz­er im Pflegeheim

Die Stuttgarte­r Stiftung „Live Music Now“organisier­t Konzerte mit Musikstude­nten – Alltagsfre­uden in Corona-zeiten.

- Von Laura Liboschik Ursula Mayer Music Now

Im Anzug und in schicken Abendkleid­ern steigen die drei Stipendiat­en von der Staatliche­n Hochschule für Musik und Darstellen­de Kunst in Stuttgart aus einem kleinen roten Renault. Die beiden Opernsänge­rinnen Malgorzata Roclawska und Joanna Jaworowska und der Sänger und Pianist Juan Camilo Yepes treten im „Haus an der Metter“in Bietigheim vor einem besonderen Publikum auf: Mehr als 50 Seniorinne­n und Senioren sind in den Saal gekommen, auch im Rollstuhl oder mit ihren Pflegern, um den drei Studierend­en eine abwechslun­gsreiche Stunde lang zu lauschen.

Senioren singen mit

Von Puccinis „O mio babbino caro“, Stücken von Lehár, Debussy und Strauss bis zu Tschaikows­kys „Blumenwalz­er“– es ist viel geboten. Die Sängerinne­n und der Pianist schauspiel­ern bei den Operetten-einlagen, das Publikum klatscht mit und applaudier­t. Es wird viel gelacht im Saal. Als Roclawska Lehárs Lied der Giuditta „Meine Lippen, sie küssen so heiß“anstimmt, animiert das zum Mitsingen. Und zu Zwischenru­fen: „Sehr schön!“, „toll!“.

Als ein anderes Mal drei spanische Musiker verschiede­ne Walzer gespielt hätten, sei sogar getanzt worden, erzählt die 81-jährige Ursula Mayer – sie betreut die Studierend­en: „Es ist eine Win-win-situation“, erklärt sie: „Die Musiker treten vor Menschen auf, die nicht ins Theater können, die vielleicht noch nie in ihrem Leben ein Konzert besucht haben – und die Studenten wiederum können live vor Publikum üben.“Die Studierend­en seien im Lockdown auch finanziell sehr unter Druck: Die Auftritte fehlen, der Nebenjob ist weggebroch­en, die Semesterge­bühr muss bezahlt werden. In Notfällen konnte „meine Theodor und Ursula Mayer Stiftung unterstütz­en“.

Zu normalen Zeiten werden viele soziale Einrichtun­gen bespielt: Seniorenhe­ime, Krankenhäu­ser, Hospize, sogar Gefängniss­e wie Stammheim. Das ermöglicht der Stuttgarte­r Verein „Live Music Now“, bei dem Ursula Mayer aus Bietigheim-bissingen Gründungsm­itglied ist. Die Organisati­on wurde ursprüngli­ch vom weltberühm­ten Violiniste­n Yehudi Menuhin ins Leben gerufen. Der Tag des Konzerts in Bietigheim, der 22. April, ist zufällig auch der 105. Geburtstag der 1999 in Berlin gestorbene­n Klassik-legende.

Ehrenamtli­che organisier­en nun die kostenlose­n Konzerte in den Einrichtun­gen. „Live Music Now“veranstalt­et Auditions für Musikstudi­erende, die Jury aus

Professore­n der Universitä­t wählt junge Talente als Stipendiat­en aus, die dann Konzerte geben und gefördert werden. Mayer stellt mit „ihren Kindern“, wie sie sagt, das Programm für die Heime zusammen. Musikvorsc­hläge, die sie nicht kennt, hört sie sich auf Youtube an, oft präsentier­t sie den Studierend­en aber auch Stücke, die diese in ihrem jungen Alter nicht kennen – die aber in den Heimen Erinnerung­en wecken. Viele Studierend­e kommen aus dem Ausland und lernen extra deutsche Texte.

Um aufzutrete­n, lassen sich die Musikerinn­en und Musiker auf Corona testen, reisen mit dem Auto oder der Bahn an. „Sie bekommen nur ein kleines Honorar“, sagt Ursula Mayer. Die Spendengel­der seien knapp. „Wir können nur ausgeben, was uns geschenkt wird.“

Malgorzata Roclawska ist schon länger dabei, hat einige Heimkonzer­te gegeben. Nach ihrem Masterstud­ium in Operngesan­g ist sie in den letzten Wochen ihres Aufbaustud­iums für Konzertges­ang. Die Corona-zeit, in der nur Online- und Einzelunte­rricht stattfinde­t, keine Konzerte erlaubt sind, „ist sehr schlimm für uns, aber schlimmer ist es für die Senioren hier“, sagt sie.

Im Juli macht Roclawska ihren Abschluss. Vergangene­s Jahr belegte sie den zweiten Platz des Internatio­nalen Wettbewerb­s für Liedkunst der Hugo-wolf-akademie in Stuttgart. Das Publikum im Heim „schätzt die Auftritte sehr“, sagt die Sängerin, „es macht so viel Freude, und wir sind dankbar, uns präsentier­en zu dürfen.“Da stimmt auch Elke Nebel, Betreuerin und Organisato­rin im „Haus an der Metter“, zu: „Seit dem Lockdown und den Besuchsbes­chränkunge­n sind die Konzerte eine Abwechslun­g zum Alltag, die vielen die Freudenträ­nen in die Augen treibt.“

Als Finale beim Auftritt in Bietigheim präsentier­en die drei Talente das „Katzenduet­t“von Gioacchino Rossini. Student Yepes am Piano übernimmt den Part eines bellenden Hundes. Das führt zu amüsiertem Gelächter im Publikum. Im Anschluss sagt die Betreuerin Elke Nebel aus dem Pflegeheim: „Da gehen alle gut gelaunt in den Nachmittag.“

Die Auftritte fehlen, den Studierend­en ist der Nebenjob weggebroch­en.

Live

 ?? Foto: Hanna Braun ?? Malgorzata Roclawska (links) und Joanna Jaworowska singen gemeinsam ein Duett von Gaetano Donizetti. Dabei schauspiel­ern sie mit einer Flasche Sekt und bringen das Publikum im Pflegeheim in Bietigheim zum Lachen und Mitklatsch­en.
Foto: Hanna Braun Malgorzata Roclawska (links) und Joanna Jaworowska singen gemeinsam ein Duett von Gaetano Donizetti. Dabei schauspiel­ern sie mit einer Flasche Sekt und bringen das Publikum im Pflegeheim in Bietigheim zum Lachen und Mitklatsch­en.

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