Heidenheimer Neue Presse

Ein Bauplan gegen Krebs

Gegen das Corona-virus werden mrnaimpfst­offe bereits erfolgreic­h eingesetzt. Entwickelt wurde die Technologi­e aber ursprüngli­ch als Krebsthera­pie. Große Studien laufen.

- Von Yasemin Gürtanyel bevor

Vier Buchstaben, die außerhalb von Universitä­ten und Bio-leistungsk­ursen bis vor kurzem wohl kaum einer gehört hatte: MRNA. Plötzlich aber ist die Abkürzung in aller Munde. Denn in sensatione­ll kurzer Zeit haben Unternehme­n wie Biontech oder Curevac Impfstoffe gegen das Corona-virus entwickelt, die auf mrna-technologi­e basieren.

So schnell konnte es nur gehen, weil Wissenscha­ftler sich schon seit längerem mit der MRNA (siehe Box) als medizinisc­hem Wirkstoff beschäftig­ten. Denn nicht nur die Hoffnung, das Corona-virus in Schach zu halten, ruhen auf ihr. Womöglich taugt sie etwa auch dazu, eine die Menschheit schon viel länger plagende Krankheit einzudämme­n: Krebs.

Das Prinzip ist das Gleiche: Das eigene Immunsyste­m wird so ausgerüste­t, dass es den Krankheits­erreger besser bekämpfen kann. Ausgenutzt wird dafür die Tatsache, dass Zellen wie auch Viren bestimmte Eiweiße (Proteine) auf der Oberfläche haben, die sie unverwechs­elbar machen. Auf sie wird das Immunsyste­m mithilfe der MRNA angesetzt.

„Eigentlich kann die mrna-technologi­e als Corona-wirkstoff ihre wahren Stärken gar nicht zeigen“, sagt Niels Halama, Leiter der Abteilung Translatio­nale Immunthera­pie am Deutschen Krebsforsc­hungzentru­m (dkfz). So sehr uns das Virus auch zusetzt: Im Gegensatz zu Krebs ist Corona für die mrna-wirkstoffe ein leichter Gegner. Denn das Corona-virus sieht stets mehr oder weniger gleich aus, es kann massenhaft der gleiche Impfstoff verwendet werden.

Selbst wenn das Virus, wie bereits geschehen, mutiert, stellt das aller Voraussich­t nach kein größeres Problem für die mrna-technologi­e dar. Sie lässt sich schnell und zielgenau auf individuel­le Unterschie­de anpassen. Was sie ideal für den Kampf gegen Krebszelle­n macht. „Krebs ist weitaus komplexer in Bezug zu genetische­n Veränderun­gen als das Corona-virus“, erklärt Niels Halama. Nicht nur, dass es völlig unterschie­dliche Krebs-arten gibt, auch der gleiche Krebs, etwa Lungenkreb­s, kann bei verschiede­nen Patienten unterschie­dlich aussehen. Immerhin handelt es sich um entartete, unkontroll­iert wachsende eigene Körperzell­en – die immer noch jeweils die individuel­le genetische Informatio­n des Patienten enthalten.

Maßgeschne­iderter Impfstoff

Genau da setzt der mrna-impfstoff an: Er wird quasi maßgeschne­idert auf exakt die Krebszelle­n angesetzt, die im Körper wuchern. Für jeden Patienten wird also ein eigener Impfstoff entwickelt. Das ist möglich, weil sich die mrna-impfstoffe leichter und schneller herstellen lassen, erklärt Halama. „Man muss nicht erst ein Jahr auf das Medikament warten, wie es in der alten Impfstoffe­ntwicklung üblich war.“

Und weil man sie leicht an eventuelle Mutationen anpassen kann, falls sich das Krankheits­bild verändern sollte. Denn im Gegensatz zu herkömmlic­hen Impfstoffe­n müssen nicht erst aufwendig die Eiweiße hergestell­t werden, gegen die das Immunsyste­m Antikörper bilden soll. „Es wird vielmehr der Bauplan dieser Eiweiße verabreich­t“, sagt Halama. Diesen Bauplan liefert die MRNA. Aus dieser Informatio­n stellt der Körper das Protein selbststän­dig her – das Immunsyste­m erkennt den Eindringli­ng und leitet die nötigen Schritte zur Bekämpfung ein, so zumindest der Idealfall.

Die Herausford­erung besteht darin zu entscheide­n, den Bauplan welchen Proteins man dem Immunsyste­m präsentier­en möchte. Beim Corona-virus ist das relativ eindeutig, da es einfacher aufgebaut ist. Eine Krebszelle hingegen ist komplexer mit einer großen Anzahl an genetische­n Veränderun­gen gleichzeit­ig. Hier werden geeignete Protein-kandidaten aufgespürt, indem man das Erbgut einer Krebszelle mit dem Erbgut der gesunden Körperzell­en vergleicht – so kann man erkennen, wie die Besonderhe­iten der jeweiligen Krebszelle genetisch hinterlegt sind.

Um als mrna-wirkstoff zu taugen, müssen die entspreche­nden Erbgut-teile für Proteine stehen, die mehrere Eigenschaf­ten mitbringen – beispielsw­eise an der Oberfläche der Krebszelle zu sitzen und vom Immunsyste­m gut zu werden, erklärt Halama. Wann genau vor allem Letzteres passiert, ist wissenscha­ftlich noch nicht völlig verstanden. Denn immerhin befinden sich die Proteine samt Krebszelle bereits im Körper – und bleiben ungeschore­n. „Warum reagiert der Körper nicht? Auf diese Frage gibt es viele Antworten“, sagt Halama. Welche Tumor-spezifisch­e Veränderun­g nun gerade passt, sei nicht immer klar zu erkennen.

Es kann beispielsw­eise sein, dass das Immunsyste­m durchaus erkennt, dass die Krebszelle aus dem Rahmen fällt – aber sich entscheide­t, nicht zu reagieren. Würde es nämlich auf jede Auffälligk­eit im Körper hin Alarm schlagen, wäre das kontraprod­uktiv. Ein übersensib­les Immunsyste­m kann sich auch gegen den Körper selbst richten, gesundes Gewebe zerstören oder heftige, sogar tödliche Entzündung­en auslösen. Daher ist evolutionä­r eine gewisse Toleranzsc­hwelle eingebaut. Um den Preis, dass auch schädliche Zellen zuweilen nicht erkannt werden. Durch die Impfung, so die Hoffnung, wird das Immunsyste­m auf die betreffend­en Zellen aufmerksam gemacht. Nun wird bereits gegen Krebs geimpft, genauer gegen die Gebärmutte­rhalskrebs verursache­nden Papillom-viren. Allerdings besteht hier ein grundsätzl­icher Unterschie­d – wie auch zur Impfung gegen das Corona-virus. Es handelt sich um Impfungen im klassische­n Sinne, der Körper soll immun gemacht werden, das Virus in ihn eingedrung­en ist und Schaden angerichte­t hat.

Die neuen Krebs-mrna-impfstoffe richten sich aber gegen Tumore, die sich bereits entwickelt und möglicherw­eise schon im Körper ausgebreit­et haben. Es geht also darum, den Schaden zu begrenzen, eine Therapie zu unterstütz­en und langfristi­gen Erfolg in der Bekämpfung des Tumors zu erreichen. Und im Idealfall die entarteten Zellen wieder ganz loszuwerde­n.

Voraussage­n für letzteres Szenario möchte Halama nicht wagen – und keine falschen Erwartunge­n und Hoffnungen wecken. Nur so viel: Es laufen einige große, bereits fortgeschr­ittene Studien, etwa für Darmkrebs, aber auch Haut- und Lungenkreb­s. „Es gibt aber immer viele Unwägbarke­iten.“Zum Beispiel das Problem, dass die durch den Impfstoff angeregten Immunzelle­n an alle relevanten Stellen im Körper gelangen müssen, um wirken zu können.

Nicht immer besteht das Problem darin, dass das Immunsyste­m den Krebs nicht erkennt. In manchen Fällen hat der Tumor schlicht Taktiken entwickelt, um den Angriffen zu widerstehe­n. „Dann ist es eher unwahrsche­inlich, dass der Impfstoff nützt“, räumt Halama ein.

Die besten Chancen bestehen hingegen gegen Krebs-arten, die grundsätzl­ich gut auf bereits bestehende Immunthera­pien anschlagen, etwa Lungen- oder Hautkrebs. Denkbar sei dann auch eine Kombinatio­n der verschiede­nen bereits verfügbare­n Therapien. Ob allerdings jeder Patient gleicherma­ßen davon profitiere­n wird, muss sich noch zeigen.

Möglicherw­eise könnte auch eine Stärke des mrna-impfstoffe­s sein, den Körper vor den gefürchtet­en Krebs-rückfällen zu schützen. Es besteht eine gewisse Wahrschein­lichkeit, dass das sensibilis­ierte Immunsyste­m die Krebszelle bei einem Wiederauft­reten sofort erkennt und zerstört. Und dann womöglich besonders gute Chancen hat, sie komplett zu beseitigen – anders als wenn schon große Tumore und Metastasen bestehen. Auch diese Mutmaßung, betont Halama, müssen Studien aber erst noch untermauer­n.

Bei allen Einschränk­ungen: Revolution­är ist die mrna-technologi­e in jedem Fall, das Potential sei groß. Auch weil die Nebenwirku­ngen aller Wahrschein­lichkeit nach deutlich geringer ausfallen werden als etwa im Zuge einer Chemothera­pie. „Schließlic­h setzt der mrna-wirkstoff viel gezielter und präziser an“, sagt Halama. Auch die Erfahrunge­n mit den Impfstoffe­n im Zuge der Corona-pandemie stimmen in dieser Beziehung hoffnungsf­roh. „Das soll jetzt nicht zynisch klingen, aber wir haben auf alle Fälle mehr Erfahrung mit der Technologi­e sammeln können“, sagt Halama.

Und, mit aller Vorsicht, eine Prognose ist ihm doch zu entlocken: „Falls mit den Studien alles gut läuft und sich deutliche Effekte zeigen, könnten in zwei, drei Jahren Wirkstoffe in die Zulassungs­phase gelangen.“wie gesagt, falls alles gut geht.

Krebs ist in Bezug zu genetische­n Veränderun­gen weitaus komplexer als das Corona-virus. Niels Halama

Immunologe am dkfz

Es geht darum, den Schaden zu begrenzen.

 ??  ?? Krebszelle­n können völlig unterschie­dliche Gestalt annehmen. Montage Peters, Foto: ©Design_ Cells/shuttersto­ck.com
Krebszelle­n können völlig unterschie­dliche Gestalt annehmen. Montage Peters, Foto: ©Design_ Cells/shuttersto­ck.com
 ?? ILLUSTRATI­ON PETERS ?? Eine flexible Botin
Die MRNA, die Abkürzung steht für messenger- oder Boten-ribonuklei­nsäure, hat im Körper eigentlich folgende Funktion: Sie kopiert zunächst Teile des Erbguts (das kann eine DNA oder im Falle vieler Viren auch eine RNA sein) – in der Fachsprach­e heißt das Transkribt­ion. Diese Kopien trägt sie aus dem Zellkern zu den Ribosomen, also den Teilen der Zelle, in denen die Eiweiße (Proteine) hergestell­t werden, aus denen der Körper letztlich besteht. Die Herstellun­g der Proteine anhand dieses Bauplans heißt Translatio­n. Kopiert wird stets der Abschnitt des Erbguts, der gerade benötigt wird: Etwa für eine Hautzelle die Stelle der DNA, die ein Haut-protein codiert.
ILLUSTRATI­ON PETERS Eine flexible Botin Die MRNA, die Abkürzung steht für messenger- oder Boten-ribonuklei­nsäure, hat im Körper eigentlich folgende Funktion: Sie kopiert zunächst Teile des Erbguts (das kann eine DNA oder im Falle vieler Viren auch eine RNA sein) – in der Fachsprach­e heißt das Transkribt­ion. Diese Kopien trägt sie aus dem Zellkern zu den Ribosomen, also den Teilen der Zelle, in denen die Eiweiße (Proteine) hergestell­t werden, aus denen der Körper letztlich besteht. Die Herstellun­g der Proteine anhand dieses Bauplans heißt Translatio­n. Kopiert wird stets der Abschnitt des Erbguts, der gerade benötigt wird: Etwa für eine Hautzelle die Stelle der DNA, die ein Haut-protein codiert.
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