Heidenheimer Neue Presse

Aufstand von unten

- André Bochow

Siebzehn Jahre haben sie Kindheit und Jugend unter der Erde verbracht. Nun kommen sie im Osten der USA billionenf­ach ans Licht, um drei bis vier Wochen der Paarung zu frönen, zu lärmen und zu sterben. „Selig bist du, liebe Kleine, die du auf der Bäume Zweigen, von geringem Trank begeistert, singend, wie ein König lebest“, jubelte eins Goethe in seinem Gedicht „An die Zikade“. Von der ist auch hier die Rede, wobei der Dichter in seiner poetischen Begeisteru­ng einer Täuschung unterlag. Der vermeintli­che Gesang

wird durch ein eigenes Trommelorg­an am Hinterleib der Männchen erzeugt und dient vor allem dem Posen vor den Weibchen. Wobei zu dieser hörbaren Entäußerun­g nur die Singzikade­n fähig sind. Worüber wir froh sein sollten, denn es gibt immerhin 45 000 Zikadenart­en.

Die nach 17 Jahren sich in den USA hervortuen­den „Sänger“bringen es auf 100 Dezibel, was im Bereich von Kreissäge oder Presslufth­ammer liegt. Sie gehören zur Untergrupp­e der

Rundkopfzi­kaden, die von den Spitzkopfz­ikaden zu unterschei­den sind. Da denken wir natürlich sofort an „die Rundköpfe und die Spitzköpfe“von Brecht – „Ein Gräuelmärc­hen“. Und wer denkt, die Invasion von Billionen Rundköpfen einmal in 17 Jahren wäre der Horror, sollte bedenken, dass es unter den vielen Zikadenart­en auf der Welt auch jene gibt, die drei, vier oder sogar zwölfmal im Jahr Eier legen. Die meisten von ihnen still und unheimlich.

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