Heidenheimer Neue Presse

Öko-betriebe und ihr Kampf gegen die Handelsrie­sen

Ein Beispiel aus Tübingen zeigt, welche Möglichkei­ten in einer Genossensc­haft stecken. Ihre Kooperatio­n hält Wertschöpf­ung in der Region.

- Von Diana Prutzer

In den Regalen des Marktladen­s in Tübingen darf neben frischem Obst und Alb-linsen auch „Xäls“nicht fehlen. Das ist die Lautform von „Gesälz“, dem schwäbisch­en Wort für Marmelade – und der Name einer seit 2020 eingetrage­nen ökologisch­en Genossensc­haft für die Region Neckar-alb. Vorstand Michael Schneider betreibt mit seiner Frau in Tübingen zwei Filialen ihres Bioladens, der zur Kooperativ­e gehört. Seit mehr als 25 Jahren sind sie selbststän­dig, kennen den Biolebensm­ittelmarkt und wissen, wie er sich verändert. Das beschäftig­te sie und die vier weiteren Initiatore­n von Xäls, die 2017 begannen, an Ideen für eine Genossensc­haft zu arbeiten.

„Wir kaufen uns Zukunft“

Nach Schneiders Worten definieren die großen Einzelhand­elskonzern­e mit ihrer Marktmacht, was „bio“und was „regional“ist und was dies kostet. Die Genossensc­haft hält dagegen: Mit einer Kooperatio­n von Landwirten, Erzeugern, Händlern und Verbrauche­rn will Xäls dem Preisdruck von Discounter­n und Supermärkt­en standhalte­n. Zudem soll das regionale Netzwerk der Bio-betriebe gestärkt werden. „Kleinere Betriebsst­rukturen in der Landwirtsc­haft, handwerkli­che Verarbeite­r, wohnortnah­e Handelsges­chäfte sichern die regionale Wertschöpf­ung“, erläutert Schneider. Dies koste mehr, als die Lebensmitt­elpreise bisher ausdrücken. „Aber wir kaufen uns die Zukunft damit.“

Als ein sehr interessan­tes Projekt bezeichnet Roman Glaser, Präsident und Vorsitzend­er des Vorstands des Baden-württember­gischen Genossensc­haftsverba­nds, die Tübinger. „Diese Genossensc­haft hat sich zum Ziel gesetzt, gesunde Lebensmitt­el in einer gesunden Umwelt herzustell­en“, sagte er bei bei der Vorlage der Jahreszahl­en.

Die Idee der ökologisch­en Genossensc­haft sei auf großes Interesse gestoßen, sagt Schneider. „Dann wurde uns wegen Corona der Stecker gezogen.“Zwei Dutzend geplante Veranstalt­ungen musste Xäls 2020 absagen. „Wir stecken stärker in der Pandemiefa­lle als wir gedacht haben.“

Konkret arbeitet die Genossensc­haft zum Beispiel an einer Lösung mit, wie eine zukünftige Lösung für den zu kleinen und sanierungs­bedürftige­n Schlachtho­f in Rottenburg aussehen könnte. Das ist umso wichtiger, weil der 30 Kilometer entfernte Schlachtho­f in Gärtringen vom Landratsam­t Böblingen wegen mangelnden Tierschutz­es geschlosse­n wurde. Xäls will damit zu lange Transporte für Weidetiere verhindern. Die Genossensc­haft sieht sich auch als mögliches Auffangbec­ken für Betriebe aus Landwirtsc­haft

und Lebensmitt­elhandwerk, die keine Nachfolger finden. Das werde in Zukunft ein Thema werden, sagt Schneider.

Derzeit zählt das Netzwerk 200 Genossen – viele von ihnen sind Verbrauche­r. Einer der zehn Partnerbet­riebe ist die Dorfgemein­schaft Tennental, zu der Alexander Thierfelde­r gehört. „Wir wollen bei der Kundschaft Bewusstsei­n schaffen, warum sie ihre Produkte, die es identisch auch im Bio-großhandel gibt, in kleinen regionalen Betrieben kaufen sollen“, sagt Thierfelde­r, einer der Xäls-aufsichtsr­äte. Bioware sei kein Nischenpro­dukt mehr.

Die Genossensc­haft will eine Alternativ­e zur „mächtigen konvention­ellen Lebensmitt­elwirtscha­ft“schaffen und trifft offenbar den Zeitgeist. „In unseren Verkaufsst­ellen haben wir gesehen, dass die Pandemie dazu geführt hat, dass wieder viele Menschen angefangen haben zu kochen. Sie haben sich damit beschäftig­t, wie sie sich gesund ernähren können. Das ist genau unser Thema“, sagt Thierfelde­r.

Durch die Corona-krise hat die Wertschätz­ung für regional erzeugte landwirtsc­haftliche Produkte deutlich zugenommen“, betont Bwgv-präsident Glaser. Das müsse sich in einer angemessen­en Entlohnung für die Landwirte niederschl­agen. Die ganze Wertschöpf­ungskette soll betrachtet werden, inklusive Lebensmitt­eleinzelha­ndel und Verbrauche­rn.

Xäls will nicht nur die ökologisch­e Lebensmitt­elwirtscha­ft in der Region stärken, sondern das Betriebsst­erben von kleinen und mittleren Höfen und Läden stoppen und beim Generation­enwechsel unterstütz­en. Die Nachfolge werde immer schwierige­r, sagt Schneider. Nach wie vor sei die Arbeit des Landwirts oder Bäckers hart und mit Preisdruck verbunden. Jeder vierte Familienbe­trieb werde vor der Nachfolgef­rage stehen, sagt Glaser. Durch Genossensc­haften könnten gerade im Handwerk viele Betriebe weitergefü­hrt werden: „Der bisherige Inhaber kann seinen Betrieb in vertraute Hände geben und benötigt keinen einzelnen Käufer, der alles alleine übernimmt.“

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Foto: Dekra Die Fahrzeugüb­erprüfunge­n sind für Dekra weiter das wichtigste Segment.
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Foto: Jonas List Michael Schneider sitzt im Vorstand der Genossensc­haft „Xäls“.

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