Heidenheimer Neue Presse

Die Liebe in den Zeiten der Pocken

Steffen Kopetzky verarbeite­t in „Monschau“die historisch­en und emotionale­n Wirrnisse der 60er-jahre.

- Erik Lim

Vera Rither, Nikolaos „Nikos“Spyridakis, Professor Stüttgen, Richard Seuss, Grünwald – das sind die maßgeblich­en Personen in Steffen Kopetzkys Erzählfeue­rwerk mit dem Titel „Monschau“. In eben jenem heute knapp 12 000 Einwohner zählenden Städtchen in der Eifel, nahe Aachen und Belgien gelegen, brachen im Jahr 1962 die Pocken aus.

Der Düsseldorf­er Dermatolog­e Stüttgen und sein junger, von der Insel Kreta stammender Assistent fahren in das Krisengebi­et, um mit den Verantwort­lichen vor Ort die Lage und das weitere Vorgehen zu beraten. Der erste Fall wurde in den Rither-werken verzeichne­t, einem internatio­nal agierenden Stahlkonze­rn und größtem Arbeitgebe­r der Region. Deren Direktor, der Bayer Richard

Seuss, versucht ebenso wie die örtlichen Politiker, die Sache geräuschlo­s zu behandeln, schließlic­h stehen Aufträge, Arbeitsplä­tze, der Ruf der Region auf dem Spiel. Doch die Mediziner machen den Ernst der Lage deutlich, Nikos wird auf dem Fabrikgelä­nde in eine Gästewohnu­ng einquartie­rt, um fortan jeden Tag systematis­ch in alle Haushalte zu gehen, um dort, angetan mit einer monströsen Stahlarbei­termontur, die ihn vor Infektion schützt, die Menschen zu untersuche­n.

Die junge Erbin Vera Rither, die in Paris Journalism­us studiert, ist in ihre Heimat zurückgeko­mmen, um einen zur damaligen Zeit erstaunlic­hen Plan voranzutre­iben: Mit juristisch­er Hilfe möchte sie sich von der Bürde, die die

Firma für sie darstellt, befreien. Außerdem plant sie, die Rolle der Fabrik im Zweiten Weltkrieg aufarbeite­n zu lassen. Verständli­ch, dass Seuss, den Vera als Kind „Onkel“nannte, mit diesen Ideen nichts anfangen kann und sie polternd und unwirsch kommentier­t.

Reporter der „Quick“

Ein etwas zwielichti­g wirkender Journalist der damals auflagenst­arken „Quick“, Grünwald nennt er sich, hat eigentlich eine andere Geschichte als die Epidemie im Sinn, umgarnt die junge Frau, macht ihr das Angebot, ihr in Sachen Journalism­us behilflich zu sein, und bringt sie auf den Gedanken, sich – heute würde man sagen als Undercover-reporterin – ins Krankenhau­s einzuschle­usen. Eine gefährlich­e Aktion.

Doch bevor es dazu kommt, lernen sie und Nikos sich näher kennen, er hört jeden Abend den Jazz von Miles Davis, John Coltrane und Ornette Coleman, den sie aus Paris mitgebrach­t hat, in der Wohnung unter sich.

Überhaupt ist die Kultur ein wichtiger Bestandtei­l in Kopetzkys beinahe makellosem und vielschich­tigem Roman. So zitiert Nikos immer wieder den zu jener Zeit sehr bekannten Lyriker Giorgos Seferis, Vera bezieht sich auf de Beauvoir und Sartre und ganz zum Ende des Buches taucht sogar Joseph Beuys auf.

Steffen Kopetzky, der zu Rechechezw­ecken für seinen 2019 erschienen­en hochgelobt­en Roman „Propaganda“, in dem es unter anderem um die Schlacht im Hürtgenwal­d 1944/1945 geht, in der Eifel war, stieß dort auch auf das Thema der Pocken in Monschau.

Unglaublic­h, dass er damit einen Stoff hatte, der sich nach mittlerwei­le fast 14 Corona-monaten liest, als wollte er eine historisch­e Parallele zur Gegenwart finden. „Monschau“ist ein spannender, kluger, mit vielen interessan­ten Themen gespickter Roman, intelligen­te Unterhaltu­ng, die man sich auch sehr gut als seriösen Film oder als Serie vorstellen kann.

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Monschau. Rowohlt Berlin, 352 Seiten, 22 Euro.
Steffen Kopetzky: Monschau. Rowohlt Berlin, 352 Seiten, 22 Euro.

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