Heidenheimer Neue Presse

Die Waldkirche ist Geschichte

Das evangelisc­he Gemeindeze­ntrum an der Hölderlins­traße ist nach neun Wochen Baggerarbe­iten nun Geschichte. Der Grundstein jedoch verschwand im Bauschutt.

- Von Klaus-dieter Kirschner Ein Video und eine Bildergale­rie vom Abriss der Waldkirche gibt es unter www.hz.de

Neun Wochen währten die Abrissarbe­iten der Waldkirche. Nun musste auch der Kirchturm weichen, das Turmkreuz blieb erhalten.

Ein durchaus markantes Bauwerk, das einer Kirchenbur­g modernen Baustils nicht unähnlich war, ist aus dem Stadtbild im Haintal verschwund­en: die Waldkirche. Es war die zweite Kirche gleichen Namens. Das erste Gotteshaus war ein Holzbau, am 17. Oktober 1926 geweiht und hatte bei dem verheerend­en Hochwasser 1968 an dem Standort ziemlich Schaden genommen, auf dem heute ein städtische­r Kindergart­en betrieben wird. Entspreche­nd der baulichen Weiterentw­icklung nahm auch die Zahl der Evangelisc­hen kräftig zu, sodass Anfang der 1970er-jahre konkret über einen Neubau nachgedach­t wurde.

Multifunkt­ionales Zentrum

Die Wahl fiel auf einen Bauplatz etliche Hundert Meter weiter. Dieses Hanggrunds­tück erlaubte eine entspreche­nd großzügige bauliche Nutzung. Die Stuttgarte­r Architekte­ngemeinsch­aft Joachim Kugel, Winfried Maier und Erden Yöndel schufen die Pläne für ein multifunkt­ionales wie simultan nutzbares Zentrum, in dem sich auch eine Mesnerwohn­ung befand. Die Lage war fantastisc­h mit Ausblick auf Heidenheim wie auf die Voithsiedl­ung, in der sich schmucke Reihenhäus­er neben villenähnl­ichen Gebäuden und Mehrfamili­enhäusern vertragen.

Der Vater der Waldkirche

In Lauchheim hatten die Heidenheim­er den dortigen Pfarrer Ulrich Stöhr für die Übernahme des Pfarramts der Waldkirche gewinnen können. Er wurde, obgleich er sich geziert hatte, „Stadtpfarr­er“und nahm den Dienst in Heidenheim auf. 17 Jahre war er auch Co-dekan unter den Dekanen Hans Lempp und Traugott Scheytt. Er wurde zum Vater der Waldkirche, deren Gemeindemi­tglieder treue Beter waren und auf schriftget­reue Auslegung der Bibel Wert legten.

So wurde die Waldkirche zur Wiege des heute vor allem in Südamerika sich um Kinder und Jugendlich­e kümmernden Kinderwerk­s Lima. Aus der Waldkirche ging auch der Offene Abend Heidenheim hervor, unter dessen Trägerscha­ft die ebenfalls in der Voithsiedl­ung geborene Brückengem­einde entstand.

Auch die Siebenbürg­er Sachsen nutzten gerne die Waldkirche, vor allem als einer der ihren, der in Siebenbürg­en geborene Heinz Pieldner, Gemeindepf­arrer war. Gruppen und Kreise wie auch der CVJM waren gerne in der Waldkirche.

Die Zeiten sollten sich ändern: Was in der Kommunalpo­litik mit einer Kommunalre­form hie und da für mächtig Verdruss sorgte, ereilte auch die Waldkirche­ngemeinde. Sie ging 2013 nach sehr wohl heftigen wie verletzend­en Diskussion­en in der Pauluskirc­hengemeind­e

auf. Viele der Gläubigen gingen den Weg allerdings nicht mit und besuchen die Gottesdien­ste in der Brückengem­einde oder in der evangelisc­hen Kirche Mergelstet­ten.

Am 1. November 2015 erlebte die Heidenheim­er Waldkirche noch ein großartige­s Konzert und einen tränenreic­hen Abschied. Gleiches berichten die, die am ersten Advent 2015 die Entweihung der Waldkirche durch die Regionalbi­schöfin Gabriele Wulz miterlebte­n.

Zunächst Flüchtling­squartier

Zunächst sollte die alsbald von Orgel und allen sakralen Gegenständ­en ausgeräumt­e Kirche Flüchtling­squartier sein. Doch nachdem die Flut der Asylbewerb­er abebbte, war diese Art der Einquartie­rung von unerwartet kurzer Dauer. Es folgte 2016 die Nutzung als Begegnungs­zentrum, das jedoch wenig Erfolg hatte. Die 1975 durch Bischof Helmut Class geweihte Kirche verfügte über eine große Konzertorg­el, die heute in Südfrankre­ich erklingt. Die beiden Glocken vom Turm gingen in eine Kirchengem­einde im Ausland.

Das 5000 Quadratmet­er große Grundstück wurde verkauft, wobei der unlängst verstorben­e Dekan Dr. Karl-heinz Schlaudraf­f Wert darauf gelegt hatte, dass „die nachfolgen­de bauliche Nutzung der Umgebungsb­ebauung angepasst ist“. Cityplan, ein Büro für Stadtplanu­ng und Projektent­wicklung in Pfullingen, erarbeitet­e den ersten Entwurf für einen 1,34 Hektar Fläche umfassende­n Bebauungsp­lan Baderhölzl­e, der entlang der Hölderlins­traße, gegenüber der jetzigen Bebauung, drei Mehrfamili­enhäuser vorsieht und im ansteigend­en Gelände Terrassenh­äuser empfiehlt.

Grundstein aus dem Jahr 1974

Neun Wochen währten nun die Abrissarbe­iten. Als es jetzt, in der letzten Aprilwoche, an den Kirchturm ging, erwies sich der Ruhestands­pfarrer Ernst Loder als Retter des Turmkreuze­s. Es verschwand also nicht im aussortier­ten Baustahl. Der Grundstein aus dem Jahr 1974 samt Dokumenten­rolle hingegen ging im Bauschutt unter. Ein großer Bagger mit einer Riesenzang­e, die dem Maul eines Dinos gleicht, biss sich durch den mächtigen Beton und die gemauerten Wände und zermalmte sie.

Ernst Loder klang traurig und glich jenen Menschen, die immer wieder unter Tränen den Abriss ihrer geistliche­n Heimat beobachtet­en, als er sagte: „Hier wurde eine Kirchengem­einde kaputt gemacht.“

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 ?? Foto: Klaus-dieter Kirschner ?? Schlicht, aber doch prägend war das Turmkreuz auf der Waldkirche, dessen Zerstörung der Ruhestands­pfarrer Ernst Loder verhindert hat.
Foto: Klaus-dieter Kirschner Schlicht, aber doch prägend war das Turmkreuz auf der Waldkirche, dessen Zerstörung der Ruhestands­pfarrer Ernst Loder verhindert hat.

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