Mit Bach und Variationen
Derzeit „Aria“lautet der Titel eines 40-teiligen, nicht zuletzt auch ausgesprochen musikalischen Werkes, das der Maler Nikola Dimitrov in der Galerie Fetzer in Sontheim/brenz präsentiert und das virtuell zu erleben ist.
„Aria“lautet der Titel eines 40-teiligen Werkes, das der Maler Nikola Dimitrov derzeit in der Galerie Fetzer in Sontheim/brenz präsentiert.
Es ist das alte Lied: Corona. Man hört nichts mehr anderes, man spricht über nichts anderes mehr. Und selbst wenn doch, landet man am Ende wieder bei Corona. Seit über einem Jahr scheint unsere Welt ein einziges Thema mit im Höchstfall ein paar Variationen desselben zu sein.
So weit, so schlecht. Das mit dem Thema und den Variationen behalten wir jetzt allerdings im Hinterkopf – und machen uns ansonsten schnurstracks auf den Weg nach Sontheim an der Brenz und dort in die Galerie Fetzer.
Freilich kann hierbei die Rede nur von einem gedanklichen Weg sein. Denn tatsächlich kann man sich, ob mit dem Auto, dem Zug oder zu Fuß, andere Wege derzeit selbstverständlich sparen. Corona, genau. Die Galerie ist geschlossen. Aber es ist möglich, virtuell vorbeizuschauen. Und dann gibt’s nicht nur etwas zu sehen, sondern darüber hinaus auch noch etwas zu hören.
Doch kein Schlafmittel
„Aria“lautet der Titel der Ausstellung mit einem 40 Einzelarbeiten umfassenden Werk von Nikola Dimitrov. Und „Aria“klingt nicht nur musikalisch. „Aria“ist auch musikalisch aufzufassen. Wir sagen nur – Bach. Johann Sebastian. Dann sagen wir gleich noch Goldberg. Und wer Goldberg im Zusammenhang mit Bach sagt, der meint selbstverständlich die so genannten „Goldberg-variationen“. Und diese wiederum haben 2011 den aus dem Saarland stammenden Maler Nikola Dimitrov zu „Aria“inspiriert.
Schon der Titel des Werks nimmt Bezug auf Bach, denn die „Goldberg-variationen“, 30 an der Zahl, orientieren sich vor allem an der Basslinie einer sie einleitenden und auch wieder beschließenden Aria. Der wunderbaren Geschichte, die – man weiß nicht genau, wann – die vor 1741 entstandenen Variationen über Jahrhunderte weg als berühmtes Schlafmittel verkaufte, hat die Musikwissenschaft vor noch gar nicht so langer Zeit leider den Garaus gemacht. Nichts sei dran an der Mär, dass Hermann Carl von Keyserlink, damals russischer Gesandter am Dresdner Hof, die Variationen bei Bach bestellt habe, damit ihm sein Cembalist Johann Gottlieb Goldberg beruhigende Musik vorspielen könne, wenn er mal wieder keine Nachtruhe fände. Nehmen wir die Anekdote nun eben als Beispiel dafür, dass gut erfundene Wahrheiten mitunter bessere Geschichten liefern als die wie auch immer geartete Realität.
Was keineswegs bedeutet, dass man nicht trotzdem genau hinschauen sollte. Im Falle von Nikola Dimitrov zum Beispiel würde, wer sich mit einem ersten und dazu vielleicht noch flüchtigen
Blick zufrieden gäbe, den völlig falschen Schluss ziehen, die 40 Teile von „Aria“sähen mehr oder weniger alle gleich aus. Das Gegenteil ist nämlich der Fall. Je öfter man hinschaut, umso mehr nimmt man wahr. Und keinesfalls bloß Unterschiede.
Das findet auch Galerist Berni Fetzer: „Es ist unglaublich, welch enorme Varianz Nikola Dimitrov mit seinen Strichreihungen Bild für Bild herausarbeitet und damit Ruhe und Spannung gleichermaßen erzeugt.“Wobei der ganze „Aria“-kosmos mit seiner umfassenden Wirkung vor Ort im Raum der Galerie noch einmal deutlich intensiver empfunden werden kann als auf deren Internet-homepage in dem dort präsentierten kleinen Film des Künstlers zur Ausstellung oder beim digitalen Durchblättern des Katalogs. „Wir hoffen deshalb sehr“, sagt Berni Fetzer, „dass wir das Haus wieder öffnen können, ehe die Ausstellung endet.“Dies wird am 11. Juni der Fall sein.
Der Maler als Pianist
Man wird sehen. Vielleicht ergibt sich bis dahin ja tatsächlich noch die Möglichkeit, an den Wänden der Galerie entlang dem Zauber der sich horizontal, vertikal und diagonal überlagernden schwarzen, weißen, grauen Strichreihungen zu verfallen, die, wie es Nikola Dimitrov formuliert, „den Bildern“, die insgesamt „als ein Wechselspiel zwischen musikalischer und malerischer Inspiration“zu betrachten seien, „eine innere Ordnung geben und ermöglichen, dass Melodien, Rhythmen, Takte, Pausen, Synkopen und Mehrstimmigkeit mitschwingen“.
Apropos Musik: Die spielt in dieser Ausstellung nicht nur als Wort eine Rolle, das ein Maler als Inspiration für seine Kunst ins Feld führt. Denn da dieser Maler ebenfalls Pianist ist, kann er Musik auch spielen. Auf dem Klavier. Und im vorliegenden Falle spielt er selbstverständlich auszugsweise „Goldberg-variationen“. Zu hören und ein bisschen zu sehen ist das im bereits angesprochenen Film zur Schau. Könnte die Ausstellung unter normalen Umständen ablaufen, hätte Nikola Dimitrov
sogar zwei Konzerte inmitten seines Werkes in der Galerie Fetzer gegeben.
Aber normal ist schon lange, wenn überhaupt, nur noch wenig. Auch für Galeristen wie Berni Fetzer. Der „will persönlich nicht klagen, dafür gibt es keinen Grund, wir kommen zurecht“. Dennoch hat sich selbstverständlich auch für ihn und seine Kollegen im Land der berufliche Alltag verändert. „Die Galerien leiden, weil die Kontakte fehlen. Es geht ja nicht nur darum, Bilder zu verkaufen, sondern auch darum, sich über Kunst auszutauschen. Wer keine Besucher empfangen kann, der kann auch niemanden neugierig machen, kann keine spontane Freude an Kunst auslösen. Das bedeutet nicht, dass man keine Geschäfte macht, aber im Moment profitieren wir da ausschließlich von unseren Kontakten; neue zu knüpfen ist indes nicht möglich, ganz zu schweigen davon, dass das Internet niemals den persönlichen Kontakt ersetzen kann.“