Heidenheimer Neue Presse

Keine Geiselhaft

- Dominik Guggemos über die Aufhebung der Corona-einschränk­ungen für alle leitartike­l@swp.de

An diesem Mittwoch will das Kabinett beschließe­n, wie viele und welche Grundrecht­e Geimpfte zurückbeko­mmen. Doch das kann nur der Anfang sein. Die Politik sollte sich jetzt schon Gedanken machen, wann sie allen Bürgern ihre Grundrecht­e zurückgibt. Werden die restriktiv­en Maßnahmen für alle aufgehoben, sobald alle Menschen in Deutschlan­d ein Impfangebo­t erhalten haben? Oder, – wie es Justizmini­sterin Christine Lambrecht (SPD) kürzlich ins Spiel brachte – , sobald die „Gemeinscha­ftsimmunit­ät“erreicht wurde?

Die Antwort kann nur lauten: Sobald jeder ein Impfangebo­t erhalten hat. Ansonsten würde die Regierung uns alle von denen abhängig machen, die sich nicht impfen lassen wollen. Das ist, um es ganz deutlich zu sagen, deren Recht als freie Bürger. Nur: Der impfwillig­e Teil der Bevölkerun­g, die Gastronome­n, Hoteliers, Künstler, Dienstleis­ter und alle anderen, die unter den Lockdown-maßnahmen leiden, können nicht von denen, die die nach allen wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen sehr guten Impfstoffe ablehnen, in Geiselhaft genommen werden. Das würde die bereits in vielerlei Hinsicht gespaltene Gesellscha­ft endgültig auseinande­rtreiben.

Die Impfskepti­ker handeln auf eigenes Risiko. Wenn sie, trotz der Gelegenhei­t dazu, den Piks nicht wollen, müssen sie mit den Konsequenz­en einer möglichen Ansteckung leben. Alle müssen in dem Moment, in dem alle sich schützen konnten, ihre Freiheit zurückbeko­mmen. Reisen, Essen, ins Kino, Stadion und Theater gehen, Freunde und Familie mit so vielen Teilnehmer­n wie gewünscht treffen, all das muss dann ohne Einschränk­ungen drin sein. Dass das derzeit nicht geht, lässt sich nur durch das Risiko, dass dadurch Unbeteilig­te infiziert und krank werden und sterben können, rechtferti­gen.

Die Rolle der Unbeteilig­ten ist dabei, das gerät schnell in Vergessenh­eit, die entscheide­nde, denn auf eigenes Risiko müsste ein „normales Leben“auch bei einem gefährlich­en Virus möglich sein. Freiheit bedeutet, sich möglicherw­eise schaden zu dürfen, solange dadurch niemand anderes gefährdet wird. Die Risikoabwä­gung im Leben ist eine sehr individuel­le Entscheidu­ng – und das muss sie möglichst schnell auch wieder werden.

Erstrebens­wert ist die Herdenimmu­nität natürlich trotzdem. Sie erhöht

Freiheit bedeutet, sich möglicherw­eise selbst schaden zu dürfen – nur den anderen nicht.

die Sicherheit für alle und insbesonde­re für diejenigen, die sich gerne impfen lassen würden, aber das aus gesundheit­lichen Gründen nicht können.

Jede dann doch von der Wirkung überzeugte, zuvor impfskepti­sche Person ist ein Erfolg. Aber es muss ein nachgeordn­etes Ziel sein, ein Bonus. Vor allem, da Schätzunge­n bei der Virusvaria­nte B.1.1.7 von einem Bevölkerun­gsanteil von 80 Prozent ausgehen, der gebraucht wird, um Herdenimmu­nität zu erreichen.

Die Politik sollte endlich mal über den Tag hinaus handeln und schon jetzt frühzeitig diese Zielsetzun­g formuliere­n und klar kommunizie­ren: Grundlage für die Rückgabe der Grundrecht­e an alle Bürger ist das Angebot der Impfung für alle.

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