Die Verrohung nimmt zu
Bundesinnenminister Horst Seehofer sieht einen beunruhigend hohen Anstieg bei rechter Gewalt.
Am Morgen die Nachricht, dass der mutmaßliche Verfasser der „NSU 2.0“-Drohschreiben festgenommen wurde, am Vormittag die Nachricht, dass die Zahl rechtsmotivierter Straftaten in Deutschland auf dem Höchststand ist seit dem Beginn der Erfassung im Jahr 2001. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) tat in Berlin kund, was viele Menschen auch in ihrem Umfeld wahrnehmen: Dass es „klare Verrohungstendenzen“gebe und eine weitere Polarisierung der politischen Diskussion zu beobachten sei. Von Opferverbänden wird kritisiert, dass viele rechts, rassistisch und antisemitisch motivierte Gewalttaten von den Strafverfolgungsbehörden als solche nicht erfasst würden. Im Folgenden die wichtigsten Daten und Zahlen zum Thema.
Die Morddrohungen, die seit Sommer 2018 unter anderem an die Anwältin Seda Basay-yildiz, an die Linken-politikerin Janine Wissler und an die Berliner Kabarettistin Idil Baydar gingen, haben auch die Polizei in Hessen in Verruf gebracht. Denn persönliche Informationen über die Frauen waren von Polizeicomputern in Frankfurt und in Wiesbaden abgerufen worden. Eine Erklärung für diesen Vorgang blieb Holger Münch, Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), am Dienstag schuldig. Weitere Erkenntnisse erwartet er von einer Auswertung der Datenträger aus der Wohnung des mutmaßlichen Verfassers der Drohschreiben.
Mit List an Daten gekommen
Der Mann sei am „offenen Rechner“festgenommen worden. Seehofer mutmaßte, dass der Tatverdächtige durch List und Täuschung an die Polizeidaten gekommen sein könnte. Bereits bekannt ist, dass der in Berlin festgenommene 53-jährige Deutsche einen rechten Hintergrund hat und wegen rechtsmotivierter Straftaten schon verurteilt wurde. Opferverbände meldeten Zweifel daran an, dass der Mann alleine gehandelt habe. „Wir befürchten, dass uns die Polizei auch hier einen Einzeltäter präsentieren möchte, um somit von der Mitverantwortung der hessischen Polizei abzulenken“, sagte Judith Potrath, Vorstand des Verbands der unabhängigen Opferberatungsstellen in Berlin.
Diese Zahl treibt Seehofer um: 44 692 politisch motivierte Straftaten wurden 2020 in Deutschland registriert, 8,5 Prozent mehr als 2019. Mehr als die Hälfte dieser Taten (52,8 Prozent) hatten einen rechten Hintergrund. Dies entspricht einer Zunahme von 5,8 Prozent. Sehr viel stärker zeigt die Kurve bei politisch motivierten Gewalttaten (vor allem Körperverletzungen und Tötungsdelikte) nach oben. Gegenüber 2019 nahm deren Zahl um 18,8 Prozent auf 3365 zu, bei rechtsmotivierter Gewalt liegt der Zuwachs bei knapp elf Prozent. „Der Rechtsterrorismus ist die größte Bedrohung für die Sicherheit in unserem Land“, sagte er. Dort zeige sich die „hässlichste Blutspur“im Land.