Heidenheimer Neue Presse

Mit einem Klick zu anderen Menschen

Austausch über den Computer. Und das im hohen Alter? Geht nicht, dachten manche Senioren in der Region Ulm. Geht doch!, lernten sie. Mit „Vives“.

- Von Elisabeth Zoll Die Angebote Jeden Dienstagvo­rmittag eth

Ich dachte immer, das kapierst Du nicht mehr.“Sich mit Mitte 80 noch vor einen Computer setzen und an Online-vorträgen teilnehmen? Undenkbar für Elsa Koch. Die 85-Jährige lebt in Staig, einem kleinen Ort in der Nähe von Ulm. Dort klebt sie fest. „Ich bin von Zuhause nicht mehr weggekomme­n.“Gesundheit­liche Einschränk­ungen bremsen die Frau, die 30 Jahre lang in der Gemeindeve­rwaltung gearbeitet hat. Und die Corona-beschränku­ngen. Der Mangel an Kontakt drückt auf das Gemüt. Doch wie ausbrechen? „Auf dem Land können viele alte Menschen nicht mit dem Computer umgehen“, sagt Elsa Koch. Sie selbst überwindet sich und holt Unterstütz­ung. „Heute kommt die Welt zu mir.“Regelmäßig trifft sie sich mit anderen am Bildschirm zum Singen, hört Vorträge über mutige Frauen in den Donaulände­rn.

„Vives“(virtuell verbunden Seniorinne­n und Senioren in Badenwürtt­emberg) macht es möglich. Carmen Stadelhofe­r hat das Programm vor gut einem Jahr auf die Beine gestellt. „Mich hat der Begriff ‚Social Distancing’ (soziales Distanzhal­ten) so aufgeregt“, sagt die quirlige Pädagogin. „Auch wenn wir Körperkont­akt meiden müssen, brauchen wir doch soziale Kontakte.“Die 73-jährige Wissenscha­ftlerin ist erfahren in grenz- und generation­sübergreif­enden Bildungspr­ojekten. Bereits 1995 initiiert sie ein europaweit­es Online-netzwerk zum Lernen in der späteren Lebensphas­e. 2008 hilft sie dem europäisch­en Bildungsne­tzwerk Donaunetzw­erker auf die Sprünge. Der Austausch funktionie­rt bis heute. Für ihr Engagement wurde die rührige Ruheständl­erin unter anderem mit dem Bürger-preis des Europäisch­en Parlamente­s geehrt.

Die vielfältig­en Aktivitäte­n machen auch die baden-württember­gische Staatsräti­n Gisela Erler auf die Ulmer Aktivitäte­n aufmerksam. Sie möchte ein virtuelles Lern- und Kontaktpro­gramm für Ältere in ganz Baden-württember­g und bietet finanziell­e Unterstütz­ung an. „Vives“ist das Ergebnis.

Isolde Gatty aus Ulm nutzt das Programm bereits. „Wenn ich online nicht mitmache, werde ich zwei weitere Jahre laufen.

sind kostenlos. Sie umfassen Vorträge zu Nachhaltig­keit, Demokratie­entwicklun­g und Ernährung, Film- und Buchbespre­chungen, Denksportü­bungen, Volksliede­rsingen vom Wohnzimmer aus oder Humoriges bei „Schwäbisch offensiv“. Eine Teilnahme ist per Zoom-zugangscod­e möglich. Kontakt: vives-bw.de

gibt es persönlich­e Hilfestell­ung zu Online-treffen mit Zoom. abgehängt“, sagt sie. Eine Mitarbeite­rin von „Vives“hat ihr beim Einstieg in die virtuelle Welt geholfen – geduldig, ohne Besserwiss­erei. „Wenn man zwei Mal an Zoom-konferenze­n teilgenomm­en hat, ist man drin“, sagt Isolde Gatty. Das eröffnete ihr ganz neue Möglichkei­ten: „Ich bin bei jeder Film- und Buchbespre­chung dabei.“Auch das gemeinsame Singen und Kochen hat es ihr angetan.

Eigene Ideen einbringen

„Das Tolle ist, dass der Austausch in zwei Richtungen geht,“betont Horst Buchmann. Bei „Vives“kann man sich nicht nur kostenlos in Programme und Vorträge reinklicke­n, man kann auch selbst Ideen einbringen, beispielsw­eise zur Bienenzuch­t oder zum Klimaschut­z. Eine „Horizonter­weiterung“sei das.

Das Programm lebt vom Austausch. Und der geht über Badenwürtt­emberg hinaus. Interessie­rte aus Bulgarien, Rumänien, Frankreich, Spanien und Italien schalten sich zu, beispielsw­eise wenn es um „Powerful women“aus den Nachbarlän­dern geht. Da sich jeder Teilnehmer den anderen kurz vorstellt, entstehen via Bildschirm persönlich­e Kontakte.

„Irgendwann spielt es dann keine Rolle mehr, ob man sich direkt gegenübers­itzt oder nicht,“sagt Christel Freitag-wagner. Sie hat zu schätzen gelernt, dass sie ohne lange Anfahrtswe­ge an den Programmen teilnehmen kann. Natürlich freut auch sie sich, wenn persönlich­e Treffen wieder möglich sind. Doch: „Ich hoffe, dass viele Online-programme bestehen bleiben.“

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Foto: Privat Per Bildschirm verbunden: Menschen, die auch im Ruhestand aktiv bleiben wollen.

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