Mit einem Klick zu anderen Menschen
Austausch über den Computer. Und das im hohen Alter? Geht nicht, dachten manche Senioren in der Region Ulm. Geht doch!, lernten sie. Mit „Vives“.
Ich dachte immer, das kapierst Du nicht mehr.“Sich mit Mitte 80 noch vor einen Computer setzen und an Online-vorträgen teilnehmen? Undenkbar für Elsa Koch. Die 85-Jährige lebt in Staig, einem kleinen Ort in der Nähe von Ulm. Dort klebt sie fest. „Ich bin von Zuhause nicht mehr weggekommen.“Gesundheitliche Einschränkungen bremsen die Frau, die 30 Jahre lang in der Gemeindeverwaltung gearbeitet hat. Und die Corona-beschränkungen. Der Mangel an Kontakt drückt auf das Gemüt. Doch wie ausbrechen? „Auf dem Land können viele alte Menschen nicht mit dem Computer umgehen“, sagt Elsa Koch. Sie selbst überwindet sich und holt Unterstützung. „Heute kommt die Welt zu mir.“Regelmäßig trifft sie sich mit anderen am Bildschirm zum Singen, hört Vorträge über mutige Frauen in den Donauländern.
„Vives“(virtuell verbunden Seniorinnen und Senioren in Badenwürttemberg) macht es möglich. Carmen Stadelhofer hat das Programm vor gut einem Jahr auf die Beine gestellt. „Mich hat der Begriff ‚Social Distancing’ (soziales Distanzhalten) so aufgeregt“, sagt die quirlige Pädagogin. „Auch wenn wir Körperkontakt meiden müssen, brauchen wir doch soziale Kontakte.“Die 73-jährige Wissenschaftlerin ist erfahren in grenz- und generationsübergreifenden Bildungsprojekten. Bereits 1995 initiiert sie ein europaweites Online-netzwerk zum Lernen in der späteren Lebensphase. 2008 hilft sie dem europäischen Bildungsnetzwerk Donaunetzwerker auf die Sprünge. Der Austausch funktioniert bis heute. Für ihr Engagement wurde die rührige Ruheständlerin unter anderem mit dem Bürger-preis des Europäischen Parlamentes geehrt.
Die vielfältigen Aktivitäten machen auch die baden-württembergische Staatsrätin Gisela Erler auf die Ulmer Aktivitäten aufmerksam. Sie möchte ein virtuelles Lern- und Kontaktprogramm für Ältere in ganz Baden-württemberg und bietet finanzielle Unterstützung an. „Vives“ist das Ergebnis.
Isolde Gatty aus Ulm nutzt das Programm bereits. „Wenn ich online nicht mitmache, werde ich zwei weitere Jahre laufen.
sind kostenlos. Sie umfassen Vorträge zu Nachhaltigkeit, Demokratieentwicklung und Ernährung, Film- und Buchbesprechungen, Denksportübungen, Volksliedersingen vom Wohnzimmer aus oder Humoriges bei „Schwäbisch offensiv“. Eine Teilnahme ist per Zoom-zugangscode möglich. Kontakt: vives-bw.de
gibt es persönliche Hilfestellung zu Online-treffen mit Zoom. abgehängt“, sagt sie. Eine Mitarbeiterin von „Vives“hat ihr beim Einstieg in die virtuelle Welt geholfen – geduldig, ohne Besserwisserei. „Wenn man zwei Mal an Zoom-konferenzen teilgenommen hat, ist man drin“, sagt Isolde Gatty. Das eröffnete ihr ganz neue Möglichkeiten: „Ich bin bei jeder Film- und Buchbesprechung dabei.“Auch das gemeinsame Singen und Kochen hat es ihr angetan.
Eigene Ideen einbringen
„Das Tolle ist, dass der Austausch in zwei Richtungen geht,“betont Horst Buchmann. Bei „Vives“kann man sich nicht nur kostenlos in Programme und Vorträge reinklicken, man kann auch selbst Ideen einbringen, beispielsweise zur Bienenzucht oder zum Klimaschutz. Eine „Horizonterweiterung“sei das.
Das Programm lebt vom Austausch. Und der geht über Badenwürttemberg hinaus. Interessierte aus Bulgarien, Rumänien, Frankreich, Spanien und Italien schalten sich zu, beispielsweise wenn es um „Powerful women“aus den Nachbarländern geht. Da sich jeder Teilnehmer den anderen kurz vorstellt, entstehen via Bildschirm persönliche Kontakte.
„Irgendwann spielt es dann keine Rolle mehr, ob man sich direkt gegenübersitzt oder nicht,“sagt Christel Freitag-wagner. Sie hat zu schätzen gelernt, dass sie ohne lange Anfahrtswege an den Programmen teilnehmen kann. Natürlich freut auch sie sich, wenn persönliche Treffen wieder möglich sind. Doch: „Ich hoffe, dass viele Online-programme bestehen bleiben.“