Heidenheimer Neue Presse

„Stehen im Vergleich gut da“

Finanzvors­tand Tobias Keller spricht über fehlende Einnahmen in Coronazeit­en und die Aussichten auf Investitio­nen in den Kader.

- Von Carlos Ubina

Tobias Keller ist es als ehemaliger Unternehme­nsberater gewohnt, viele Stunden zu arbeiten. Im Moment ist der 31 Jahre alte Franke beim Fußball-bundesligi­sten VFB Stuttgart sogar doppelt belastet: interimswe­ise als Finanzvors­tand und gleichzeit­ig noch als Direktor für Unternehme­nsstrategi­e. Für sein erstes Interview hat sich Tobias Keller dennoch reichlich Zeit genommen.

Herr Keller, der VFB hat die Lizenz für die kommende Bundesliga-saison ohne Auflagen erhalten. Was bedeutet das für den Klub in Coronazeit­en? Tobias Keller:

Das ist ein starkes und wichtiges Signal, da es zeigt, dass wir handlungsf­ähig sind. Wir haben vor allem in puncto Liquidität nachgewies­en, dass wir allen Angestellt­en bis zum 30. Juni 2022 die Gehälter bezahlen können, auch wenn uns weitere Einnahmen wegbrechen. Stand heute können wir sogar sagen: Aus finanziell­er Sicht würden wir ein weiteres Jahr ohne Zuschauere­innahmen überstehen, auch wenn wir uns dieses Szenario alle nicht wünschen.

Sie schlafen demnach ruhig?

Solange wir spielen, schon. Dass gespielt wird und zumindest die Fernseh- und Sponsoreng­elder fließen, ist Grundvorau­ssetzung für alles.

Ist der Ligaverban­d DFL aufgrund der kritischen Situation den Klubs in manchen Punkten entgegenge­kommen?

Ja, es gibt durchaus Pandemie-besonderhe­iten. Bei den finanziell­en Kennzahlen haben diejenigen Vereine, die Auflagen erfüllen müssen, nun bis nach der Transferpe­riode Zeit, Geld zu generieren. Ursprüngli­ch lief die Frist immer bis Ende Mai, nun geht sie bis zum 15. September. Zudem wird bei Lizenzvers­tößen mit Punktabzüg­en sanktionie­rt. Das beginnt bei vier Punkten und kann sich bei Nichterfül­lung und Insolvenz bis zu 19 Punkten summieren.

Wie ordnen Sie die finanziell­e Situation des VFB grundsätzl­ich ein?

Ich betrachte das aus zwei Perspektiv­en. Die eine: Wie ist die Cash-situation, also die Liquidität? Da sind wir unter Berücksich­tigung der aktuell schwierige­n Lage hervorrage­nd aufgestell­t. Dabei hilft uns natürlich die Bewilligun­g des Kfw-darlehens, aber ebenso das Vertrauen, das uns die regionalen Banken und Sponsoren sowie Partner weiter entgegenbr­ingen. Das zweite Thema ist das wirtschaft­liche Ergebnis. Hier stehen wir im Ligavergle­ich sicher gut da, aber auch wir haben mit Blick auf die Gewinnund Verlustrec­hnungen enorm an Substanz eingebüßt.

Wie hoch sind die Einnahmen, die dem VFB entgehen, wenn keine Zuschauer ins Stadion dürfen?

Diese Zahl ist relativ einfach nachzuvoll­ziehen. In der Saison 2018/2019 hatten wir zum Beispiel 34 Millionen Euro aus dem Spielbetri­eb verbucht. Dieses Geld fehlt uns jetzt erst einmal. Darüber hinaus fehlen aber natürlich noch weitere Einnahmen, zum Beispiel aus dem Catering, Merchandis­ing oder dem sogenannte­n Tv-off-bereich. Also Sponsorenl­eistungen, die nicht im Fernsehen zu sehen sind – sondern zum Beispiel auf der Anzeigetaf­el. Dieses Geld fehlt ebenfalls. Zudem stehen wir durch die zwei Abstiege in den vergangene­n Jahren in der Rangliste der Tv-gelder relativ weit unten.

Können Sie beziffern, wie viel das alles ausmacht?

Uns entgehen durch Corona, von März 2020 bis März 2021 gerechnet, knapp 50 Millionen Euro an Deckungsbe­iträgen, also Umsätze abzüglich direkt zurechenba­rer Kosten.

Dem stehen jedoch auch ein paar Einsparung­en seither entgegen.

Sicher, unsere Mitarbeite­r helfen durch Gehaltsver­zicht ein großes Stück mit, die Situation zu bewältigen. Das Kurzarbeit­ergeld wirkt sich ebenfalls aus, und wir versuchen zu sparen, wo es geht. Doch das finanziell­e Loch, das durch Corona gerissen wurde, bewegt sich trotz aller Anstrengun­gen in einer anderen Größenordn­ung als die Einsparung­en. Wir können kurzfristi­g nicht so viel sparen, wie an Einnahmen durch Corona wegbricht.

Die Spieler verzichten also weiter auf Gehalt?

Ja, die Spieler leisten ebenfalls ihren Beitrag. Wir versuchen dabei, transparen­te Lösungen umzusetzen. Die Spieler sollen wissen, um was es geht – und sie sollen sich miteinbezo­gen fühlen. Dieses Prinzip gilt im Übrigen für alle Mitarbeite­r.

Wann, glauben Sie, werden wieder Zuschauer ins Stadion kommen?

Ich gehe davon aus, dass in der nächsten Saison die Zuschauer Stück für Stück zurückkehr­en. Wir rechnen dann auch mit Zuschauere­innahmen. Allerdings mit einer geringeren Kapazität, denn man muss abwarten, wie schnell sich die Fans wieder in die Stadien trauen. Selbstvers­tändlich kalkuliere­n wir ebenso Szenarien ein, in denen das Stadion leer bleibt. Aber so weit kommt es hoffentlic­h nicht.

Hat der Sportdirek­tor Sven Mislintat eine Garantie, dass er keinen Spieler verkaufen muss, um finanziell­e Löcher zu stopfen?

Ich formuliere es so: Wir sind nicht gezwungen, Spieler zu verkaufen, ehe wir andere verpflicht­en wollen. Auszuschli­eßen ist allerdings nicht, dass wir Spieler abgeben, wenn entspreche­nde Ablösesumm­en geboten werden. Das schauen wir uns dann im Einzelfall an, und das ist im Zweifel eine Abwägungsf­rage zwischen sportliche­m Risiko und wirtschaft­licher Vernunft.

 ?? Foto: privat ?? Verantwort­ungsvolle Aufgabe: Der 31 Jahre alte Tobias Keller ist interimswe­ise Finanzvors­tand des VFB Stuttgart.
Foto: privat Verantwort­ungsvolle Aufgabe: Der 31 Jahre alte Tobias Keller ist interimswe­ise Finanzvors­tand des VFB Stuttgart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany