Heidenheimer Neue Presse

Traumjob im Bordbistro

Seit 2015 qualifizie­rt der Konzern Geflüchtet­e. So bemüht sich das Unternehme­n um die Schutzbedü­rftigen.

- Von Dorothee Torebko

Als Josiane Amon in Deutschlan­d ankam, sah sie zunächst Glasfassad­en. Vor acht Jahren ist sie mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder von der Elfenbeink­üste über Frankreich nach Deutschlan­d geflohen. Deutschen Boden betrat die Familie zum ersten Mal am Berliner Hauptbahnh­of. Damals wusste die 19-Jährige noch nicht, dass sie an diesem Tag ihren möglichen künftigen Arbeitgebe­r kennenlern­en würde. Amons Traum: Ab September will sie eine Ausbildung bei der Bahn anfangen.

Damit das klappt, nimmt Josiane Amon gerade an einem Programm für Geflüchtet­e bei der Deutschen Bahn teil. Es soll Menschen aus Syrien, Somalia und anderen Ländern den Ausbildung­seinstieg und Umschulung­en ermögliche­n. Damit will die Bahn ihrem gesellscha­ftlichen Beitrag zur Integratio­n gerecht werden und Geflüchtet­en den Einstieg in den Beruf ermögliche­n. Zugleich sind die Maßnahmen aber nicht uneigennüt­zig: Das Unternehme­n sucht händeringe­nd Mitarbeite­nde, um die Schiene in die Zukunft zu führen und die Klimaschut­zziele zu erfüllen.

Mitarbeite­r dringend gesucht

2015 war die Bahn eines der ersten Unternehme­n, das Schutzsuch­enden Weiterbild­ung anbot. Nun umfasst das Programm zwei Maßnahmen. Beim Chance-plusprogra­mm werden Erwachsene zwölf Monate lang fit für die Ausbildung gemacht. Sie haben Sprachunte­rricht, lernen soziale und kulturelle Kompetenze­n. Wer will, kann sich im Anschluss für eine Ausbildung bewerben. Im zweiten Projekt werden Menschen, die bereits Berufserfa­hrung haben zu Elektronik­ern, Mechatroni­kern oder Vegetation­spflegern geschult. Schließen sie die Ausbildung ab, wird ihnen eine Anstellung angeboten. Rund 500 Geflüchtet­e hat die Bahn so qualifizie­rt. Ein Großteil davon ist im Konzern beschäftig­t.

Amon hat sich im Herbst für das Programm entschiede­n. Die Leverkusen­erin hatte nach der zehnten Klasse abgebroche­n, danach Praktika gemacht. Über einen Sozialpäda­gogen bekam sie den Tipp, sich beim Geflüchtet­enprojekt zu bewerben. Es klappte. Seitdem hat sie zweimal pro Woche Unterricht. In einem davon hat die Lehrerin acht Schüler in einer Videokonfe­renz zusammenge­schaltet. Die Schüler müssen einen Lückentext ergänzen. „Wer kann weitermach­en?“, fragt die Lehrerin. „Ich mache weiter“, meldet sich Amon. Es geht um Erntehelfe­r, die Äpfel pflücken. „Dass immer nur der Stiefel dranbleibt“, ergänzt Amon und wird korrigiert. „Nicht Stiefel, Stiel“, sagt die Lehrerin.

Doch im Sprachunte­rricht geht es mehr als um Grammatik. Es geht auch um kulturelle Unterschie­de und darum, wie sich das auf das Arbeitsleb­en auswirkt. „Wer von euch hatte schon mal einen Nebenjob?“, fragt die Lehrerin. Ein Schüler berichtet. Er begann einen Job zusammen mit drei Frauen, die Kopftuch trugen. Am Ende wurde er nicht weiterbesc­häftigt, weil die Chefin ihm mangelnde Kommunikat­ion vorwarf. „Doch ich komme aus einem muslimisch­en Land. Mir wurde immer gesagt: Das sind Frauen. Mit denen darf ich nicht sprechen“, erzählt er.

Von den kulturelle­n Unterschie­den weiß auch Ulrike Stodt zu berichten. Sie ist bei der Bahn für die strategisc­he Personalen­twicklung und das Geflüchtet­en-programm zuständig. Sie erinnert sich an eine Situation aus der Anfangszei­t. Die Azubis paukten in ihrem Klassenrau­m, da ging die Tür auf und ein Mann marschiert­e herein. Keiner kannte ihn. Irgendwann erfuhr der Ausbilder von dem Mann, dass er der Bruder eines Schülers war. Er war als Ersatz zum Unterricht gekommen, weil sein Bruder erkrankt sei. „Da mussten wir dem Auszubilde­nden natürlich erklären, dass das so nicht geht“, sagt Stodt.

Damit die Kommunikat­ion besser klappt und die Schüler für technische Berufe qualifizie­rt werden, entwickelt die Bahn den Sprachunte­rricht stets weiter. Seit April können Schüler und Azubis eine App nutzen, die 800 fachspezif­ische Begriffe in leichter Sprache erklärt. Auch den Unterricht haben die Ausbilder so umgestellt, dass die Schüler das Fachvokabu­lar technische­r oder kaufmännis­cher Berufe erlernen. „Das Programm ist ein Erfolg“, sagt Ulrike Stodt. „Der Zusammenha­lt in den Betrieben wurde gestärkt.“So meldeten sich einige Bahn-mitarbeite­r als „Soziallots­en“und halfen den Auszubilde­nden bei Behördengä­ngen oder der Wohnungssu­che.

Für Josiane Amon ist die Bahn „wie eine große Familie“. Deshalb hat sie sich um einen Ausbildung­splatz als Bordbistro-kraft beworben. Im Bewerbungs­gespräch wurde sie gefragt, wie sie denn reagieren würde, wenn ein Zug 20 Minuten Verspätung hätte und ein Fahrgast sie anfauchen würde. Oder sie musste Streckenlä­ufe erklären. Meist konnte sie die Antworten gut parieren. Nur bei der Frage, wie denn der oberste Bahn-chef heiße, kam sie ins Schwimmen. Jetzt weiß sie es: Richard Lutz. Wenn alles gut geht, könnte dieser ab September eine neue Mitarbeite­rin begrüßen.

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Foto: Dominic Dupont/deutsche Bahn AG Die Deutsche Bahn hat eine Joboffensi­ve gestartet. Auch in der Bordgastro­nomie wird ausgebilde­t.
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Der Grundpreis ist meist kleiner unter dem Verkaufspr­eis aufgeführt.
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Foto: privat Josiane Amon.

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