Mit mehr Tempo zu neuen Impfstoffen
In der Idylle Oberschwabens sitzt einer der weltweit führenden Pharma-dienstleister, der derzeit vieles umkrempelt. Schon bald soll hier auch das Vakzin von Curevac hergestellt werden.
Zwischen den Gebäuden „Ribosom“und „Nukleus“zeigt Thomas Rösch auf Fahrzeuge, die auf dem Rentschler-campus parken. 60 Spezialfirmen arbeiten seit Monaten in Laupheim auf der Baustelle: Im nach dem Zell-bestandteil Ribosom benannten Gebäude wird die Produktion für den Tübinger Impfstoff-entwickler Curevac eingerichtet.
Vom Boden über die Bioreaktoren bis zu Schleusen, Brandschutz und Elektroinstallation gibt es dafür spezielle Anforderungen. Und es muss schnell gehen, sagt Biotechnologin Rebecca Kehle, die mit dem promovierten Ingenieur Rösch über den Campus führt: „Wir haben in den vergangenen Monaten einen absoluten Sprint hingelegt.“„Wie ein Marathon-sprint kommt mir das vor“, sagt der Leiter Werksentwicklung. Alle Beteiligten in den Behörden seien sehr hilfsbereit, arbeiteten mit höchster Priorität an den Genehmigungen für die Vorproduktion und an der Zulassung des Curevac-impfstoffs. Letztere wird für Ende Juni erwartet.
Bereits im Herbst 2020 hat Rentschler Biopharma einen von vier Produktionsschritten für das Biontech/pfizer-vakzin übernommen und seither die Produktion um 50 Prozent hochgefahren. Anfang Februar gab Vorstandschef Frank Mathias den Großauftrag von Curevac aus Tübingen bekannt. Für den Impfstoff „CVNCOV“übernimmt das Unternehmen drei von insgesamt vier Produktionsschritten.
Der Weltmarkt wartet sehnlichst auf mehr Impfstoff. Für Curevac soll Rentschler Biopharma 100 Millionen Dosen im Jahr herstellen. „Ich beneide Herrn Spahn nicht“, sagt Thomas Rösch. Die Vorwürfe an den Gesundheitsminister, die Pandemie-bekämpfung gehe nicht schnell genug, findet er teilweise überzogen. Denn die Entwicklung des Impfstoffes und der Aufbau einer solchen Produktion seien extrem komplex.
Hinzu kommt: „Der Weltmarkt ist für das nötige Equipment am Limit.“Das Supply-chain-team kämpfe seit Monaten, „damit das wenige Material, das es gibt, auch zu uns kommt“. Es gehe etwa um spezielle Filter, Schläuche, Salze. Curevac habe den baldigen Produktionsstart in Laupheim abgesichert, indem der Auftraggeber Spezialgeräte frühzeitig bestellt hat. „Inzwischen liegen die Lieferzeiten bei eineinhalb Jahren“, sagt Rösch.
Rollierendes Verfahren
In Sachen Umweltverträglichkeit, Herstellerlaubnis und Betriebssicherheit steht Rentschler im engen Austausch mit den Behörden. Diese erlaubten für die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ein beschleunigtes Verfahren, das bedeutet, dass Angaben nach und nach eingereicht werden.
Doch nicht nur die Baustelle ist ein Kraftakt. In allen Abteilungen ändert sich vieles. Angesichts der zusätzlichen Aufmerksamkeit seien die Sicherheitsstandards erhöht worden, auch in der Cyber Security. Ressourcen werden neu verteilt, Teams neu aufgebaut, neue Mitarbeiter ausgebildet. Dafür gibt es ein Trainingslabor, in dem auch der Umgang mit schwierigen Situationen in der Produktion geübt werden kann.
Seit dem Biontech-auftrag waren 80 neue Stellen offen, der Großteil in der Produktion. Gut die Hälfte ist bereits an Bord, doch es braucht immer mehr qualifiziertes Personal. Dabei hilft den Personalern die Aufmerksamkeit, die Rentschler Biopharma durch den Curevac-auftrag erhält. Eine große Recruiting-kampagne läuft. „Wir sind im Plan, suchen aber weiter“, sagt Sabine Lotz, Personalleiterin in Laupheim.
Süddeutschland ist nach ihren Worten ein gutes Pflaster: Mit Boehringer Ingelheim, Sartorius, Teva oder auch Vetter bilde man einen weltweit bedeutenden Cluster für Biopharmazie. Deutschland sei hierfür nach den USA der führende Produktionsstandort, sagt Pressesprecherin Cora Kaiser – „gemessen an der Zahl der zugelassenen Produkte“. Auch im Ausland sucht Rentschler Personal – eine Arbeitserlaubnis
zu bekommen, sei in Coronazeiten jedoch nicht leicht. Das Unternehmen biete daher eigens Onboarding- und digitale Sprachkurse an sowie Unterstützung bei der Wohnungssuche.
Die Weichen für rasantes Wachstum hat Vorstandschef Mathias mit den Mitarbeitern vor drei Jahren gestellt, als sie gemeinsam die „Strategie 2025“entwickelten. Etliche Punkte von damals sind heute Realität: So kaufte Rentschler 2019 eine Produktionsstätte in den USA (Milford bei Boston) und integrierte sie. Zur Expansion gehört auch die britische Tochtergesellschaft in Stevenage. Dort besteht ein weltweit bedeutender Cluster für neuartige Zell- und Gen-therapien. Weitere Bausteine sind enge Partnerschaften, wie sie etwa zur Leukocare AG bestehen.
Die Vakzin-produktion ist das Sahnehäubchen. „Der Einstieg in die Impfstoff-produktion war uns eine ethische Verpflichtung“, betont Vorstandschef Mathias. „Es macht uns stolz, dass wir auch in der Pandemie einen gesellschaftlichen Nutzen stiften können.“Rentschler stelle auch Medikamente gegen durch Covid-19 verursachte Symptome und Folgeerkrankungen her. Ob die Impfstoff-produktion aufgestockt werde, hänge davon ab, ob genügend qualifiziertes Personal, Equipment und Rohstoffe verfügbar sind. „Das ist das Nadelöhr.“Die weitere Entwicklung in der Impfstoff-produktion beobachtet Mathias genau. Denn mrna-basierte Therapeutika dürften auch in der Krebsbehandlung an Bedeutung gewinnen. „Wir bauen hier eine weitere Kernkompetenz auf.“
Es macht uns stolz, dass wir in der Pandemie gesellschaftlichen Nutzen stiften. Frank Mathias Vorstandschef Rentschler Biopharma