Heidenheimer Neue Presse

Täter steht nach 14 Jahren jetzt vor Gericht

14 Jahre nach der Entführung und Vergewalti­gung eines zwölfjähri­gen Jungen in Heidenheim kam die Polizei einem 37-jährigen Mann aus Ebersbach auf die Spur.

- Von Silja Kummer

Vor dem Landgerich­t Ulm muss sich ein 37-Jähriger verantwort­en, der vor 14 Jahren in Heidenheim einen Jungen entführt und sexuell missbrauch­t hat.

Fast 14 Jahre, nachdem ein heute 37 Jahre alter Mann einen damals zwölfjähri­gen Jungen in Heidenheim entführt und sexuell missbrauch­t hat, steht der Täter jetzt vor Gericht. Gestern begann vor dem Landgerich­t Ulm der Prozess gegen den Mann aus Ebersbach, dem außerdem eine zweite Entführung und Vergewalti­gung eines 13-Jährigen in Ulm im Jahr 2006 sowie Besitz und Verbreitun­g von kinderporn­ografische­n Bildern und Filmen zur Last gelegt wird.

Der 37-Jährige wurde in Handfessel­n in den Gerichtssa­al geführt, er befindet sich seit dem 29. Oktober 2020 in Untersuchu­ngshaft. Der schmächtig­e und schlecht frisierte Mann trug eine schlottern­de Jeans und ein Sweatshirt und verschwand fast hinter dem kräftigen Justizvoll­zugsbeamte­n, der ihn begleitete. Von den anwesenden Fotografen und Kameraleut­en wandte er sich ab. Einen Eindruck vom Wesen des Angeklagte­n konnte man nur indirekt gewinnen, er selbst machte am ersten Prozesstag keine Aussagen, ließ von seinem Verteidige­r Alfred Nübling eine Erklärung verlesen: Er bekennt sich in allen Anklagepun­kten schuldig.

„Alles ist wie ausgelösch­t“

Nach seiner Verhaftung hatte der Angeklagte, der als Testfahrer arbeitete, in der Vernehmung durch die Kriminalpo­lizei bereits die Taten gestanden. Eine Beamtin der Kriminalpo­lizei berichtete davon als Zeugin vor Gericht. Sie beschrieb den Angeklagte­n als eher still, seine Einlassung­en waren wortkarg. Zwar habe er die Entführung und Vergewalti­gung der beiden Jungen zugegeben, konnte sich aber an keine Details erinnern. „Er sagte, es sei alles wie ausgelösch­t“, so die 34-jährige Polizistin. „Hatten Sie den Eindruck, er konnte sich nicht erinnern oder wollte er nicht?“, fragte der Vorsitzend­e Richter Michael Klausner nach. Die Ermittleri­n gab an, es habe sich wohl eher um eine Schutzbeha­uptung gehandelt.

Von seiner Mutter sei der Mann als typischer Einzelgäng­er geschilder­t worden, er habe keine sozialen Kontakte gehabt. Von den Arbeitskol­legen wurde er als unauffälli­g, höflich und freundlich beschriebe­n. Der Betreiber eines Campingpla­tzes in Westerheim, wo der Angeklagte sich oft in einem Wohnwagen aufhielt, konnte sich gar nicht persönlich an den Mann erinnern, sondern musste erst in seinen Unterlagen nachschaue­n, um wen es sich handelt.

Ein unauffälli­ger, einzelgäng­erischer Mann, der weder soziale Kontakte noch sexuelle Beziehunge­n zu Erwachsene­n unterhält, vergeht sich an Jungen kurz vor der Pubertät – wie war es dazu gekommen? Die erste Tat im November 2006 ereignete sich im Ulmer Stadtteil Lehr, wo der Angeklagte im November 2006 einen 13-jährigen Jungen mit Gewalt in sein Auto zog und davonfuhr. Er hielt auf einem Feldweg, zog sein Opfer aus und versuchte, den Jungen zum Oralverkeh­r zu zwingen, was dieser verweigert­e. Mit einem Gürtel schlug er das Opfer auf das nackte Gesäß, um sich sexuell zu erregen. Später ließ er den Jungen auf einem Waldparkpl­atz wieder frei.

In Heidenheim wiederholt sich das Geschehen im Dezember 2007, allerdings sei eine Steigerung

der Gewalt gegen das Opfer zu beobachten, so die Polizeibea­mtin. In der Voith-siedlung entführte der Mann einen Zwölfjähri­gen und fuhr mit ihm auf einen Parkplatz zwischen Staufen und Syrgenstei­n. Diesmal gelang es ihm, den Jungen zum Oralverkeh­r zu zwingen. Auch dieses Opfer wurde auf das Gesäß geschlagen, wobei der Mann einen Holzstab verwendete.

Die Polizei erkannte schon damals einen Zusammenha­ng zwischen den Taten, beide Jungen beschriebe­n das Fahrzeug des Täters als einen silberfarb­enen Vw-kombi mit Göppinger Kennzeiche­n. Während der Täter dem Heidenheim­er Opfer die Augen mit Klebeband verschloss­en hatte, konnte mithilfe des Jungen aus Ulm ein Phantombil­d gefertigt werden. Im Sommer 2008 wurden deshalb im Raum Göppingen mit großem Polizeiauf­gebot Halter von silbernen Vw-kombis überprüft, wobei die Kripo auch beim Angeklagte­n war. Da der Junge aber ausgesagt hatte, der Mann sei zwischen 35 und 40 Jahre alt, passte der damals 24-jährige Angeklagte nicht ins Bild. Außerdem gab er an, ein Alibi für die Taten zu haben.

Kinderporn­ografische Bilder

Dass der Mann sich jetzt doch noch vor Gericht verantwort­en muss, ist auch der 34-jährigen Kriminalbe­amtin zu verdanken, die einen Zusammenha­ng zwischen den kinderporn­ografische­n Bildern und den Taten erkannte: Das Bundeskrim­inalamt stieß im Januar 2018 bei Ermittlung­en im Internet auf kinderporn­ografische­s Material, das über das Netzwerk Gigatribe angeboten wurde. Die Bilder und Filme konnten der Ip-adresse des Angeklagte­n zugeordnet werden. Im Juli 2018 fand eine erste Durchsuchu­ng seiner Wohnung statt. Der Mann wohnte in der Einliegerw­ohnung des Hauses, das auch seine Mutter und seine Großmutter bewohnten.

20 000 kinder- und jugendporn­ografische Bilder und mehrere Hundert Videos stellt die Polizei bei der Durchsuchu­ng sicher. Da bei der Auswertung der Dateien zunächst ein Fehler passiert sei, habe man die spurentech­nische Behandlung wiederhole­n müssen, erläuterte die Polizeibea­mtin. Deshalb konnte mit der inhaltlich­en Auswertung der Dateien erst im September 2020 begonnen werden.

Chats mit Gleichgesi­nnten

„Auffällig an den Dateien war die Gewaltkomp­onente“, so die 34-jährige Sachbearbe­iterin. Sie habe ebenfalls bemerkt, dass das Interesse des Mannes hauptsächl­ich Jungen im Alter von zehn bis 14 Jahren galt. Diese trugen als Fetisch oftmals Windeln. Auch Schläge auf das Gesäß, als sexuelle Spielart auch „Spanking“genannt, waren ein Thema. Aus diesen Präferenze­n, aber auch den Inhalten von Chats mit Gleichgesi­nnten, gelang es der Polizei, die Verbindung zu den beiden Taten aus den Jahren 2006 und 2007 herzustell­en. Nach der erneuten Durchsuchu­ng der Wohnung und des Wohnwagens in Westerheim gestand der Mann die Taten. „Ich hatte den Eindruck, dass ihn das erleichter­t hat“, so die Kripobeamt­in.

Der Prozess wird kommende Woche mit der Aussage des Heidenheim­er Opfers fortgesetz­t. Der Anwalt des heute 26-Jährigen, der als Nebenkläge­r auftritt, beantragte aber den Ausschluss der Öffentlich­keit.

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Foto: Silja Kummer Ein 37-Jähriger steht in Ulm vor Gericht, weil er unter anderem 2007 in Heidenheim einen Zwölfjähri­gen entführt und vergewalti­gt haben soll.

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