Heidenheimer Neue Presse

Alles, nur kein „Weiter so“

Für ihre zweite gemeinsame Amtszeit legen Grüne und CDU in Baden-württember­g einen „Erneuerung­svertrag“vor. Doch wie gelingt ein Aufbruch ohne Geld?

- Von Roland Muschel

Winfried, aber du freust dich schon drauf ?“, flachst Cdulandesc­hef Thomas Strobl an Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n gewandt gegen Ende der Präsentati­on des grün-schwarzen Koalitions­vertrags. Der Grünen-regierungs­chef hat eben eine Frage nach den leidigen Finanzen leicht genervt beantworte­t: „Regieren ist halt kein Ponyhof.“Strobl versucht mit seinem Scherz dem Satz die Schärfe zu nehmen. Schließlic­h wollen beide an diesem Mittwoch andere Botschafte­n setzen, etwa die, dass nun vieles anders werde. „Ein ,Weiter so’ verbietet sich gewisserma­ßen“, sagt Kretschman­n mit Verweis auf die Herausford­erungen des Klimawande­ls. „Grün-schwarz 2021 bis 2026 – das ist nicht die bloße Fortsetzun­g der vergangene­n fünf Jahre“, sagt Strobl.

Bis in den Morgen hinein haben die Verhandlun­gsdelegati­onen noch um Zuschnitt und Verteilung der Ministerie­n gerungen, die auch im Koalitions­vertrag ihren Niederschl­ag finden, nun stellen sie das 160 Seiten dicke Werk mit dem Titel „Jetzt für Morgen“und dem Zusatz „Der Erneuerung­svertrag für Badenwürtt­emberg“vor. Für die Präsentati­on haben sie einen Forschungs­campus gewählt. Der Blick soll nach vorne gehen, die zuletzt durch Scharmütze­l geprägte Arbeit ein neues Miteinande­r prägen. Symbolisie­rt auch durch etwas, was Kretschman­n ein „Experiment“nennt: Überkreuz-besetzunge­n in den Chefetagen des Kultusmini­steriums und des neuen, erst in der Nacht gezimmerte­n Ministeriu­ms für Landesentw­icklung und Wohnen. Das Kultusmini­sterium führen erstmals die Grünen, aber einer von künftig zwei Staatssekr­etärsposte­n geht an die CDU. Beim neuen Wohnminist­erium dürfen die Grünen einen Staatssekr­etär bestimmen und die CDU die Ministerin oder den Minister.

Auch inhaltlich betonen Kretschman­n und Strobl Gemeinsamk­eiten.

„Klares gemeinsame­s Ziel“sei es, Baden-württember­g zum „Klimaland Nummer eins“zu machen, sagt Strobl. Grüne und CDU seien die beiden Parteien, die am breitesten im Land verankert seien, „wenn auch mit unterschie­dlichen Ankerpunkt­en“, wirbt Kretschman­n auch mit Blick auf jene, die einem möglichen Ampelbündn­is nachtrauer­n. Klimapolit­ik, Transforma­tion der Wirtschaft und gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt nennt der Ministerpr­äsident als zentrale Politikfel­der. Die Stichworte, die Innenminis­ter Strobl ausgibt, klingen ähnlich: Nachhaltig­keit, Innovation, Zusammenha­lt. Er nennt dann noch die Sicherheit. Vor fünf Jahren, als das grün-schwarze Konzept noch lautete, dass jeder Partner sich auf seinen Kompetenzf­eldern austoben können solle, hatte Strobl fast nur über Sicherheit gesprochen. Nun soll das Fundament ein anderes sein: Klimapolit­ik, innovative Unternehme­n und grüne Technologi­en sollen Wachstum sichern – und zugleich eine Blaupause für klimaneutr­ales Wirtschaft­en liefern.

Ideen gibt’s zuhauf, in allen Bereichen, Mittel aber nur bedingt. „Es ist ja nicht so, dass wir kein Geld haben. Wir haben einen Haushalt mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro“, versucht Kretschman­n dem Eindruck entgegenzu­wirken, die neue Regierung könne außer schönen Überschrif­ten nur wenig bieten. Wenn man etwa Weichen für bis zu 1000 neue Windräder im Land stelle oder die Photovotai­kpflicht auf neue Wohngebäud­e ausdehne, koste das den Staat kein Geld. Gleich zu Beginn wolle man ein Sofortprog­ramm zur Milderung der Corona-folgen beschließe­n, alles andere aber steht unter „Haushaltsv­orbehalt“. Spielräume sollen vorrangig dazu genutzt werden, finanzrele­vante Maßnahmen aus dem Sondierung­spapier, bei dem der Klimaschut­z im Mittelpunk­t steht, umzusetzen. In welcher Reihenfolg­e die vielen weiteren Vorhaben angegangen werden, muss jeweils neu austariert werden. Die Umsetzung des „Erneuerung­svertrags“dürfte den neuen Geist der Koalition also noch öfter auf die Probe stellen. Kretschman­n formuliert es so: „Es ist halt nicht so, dass der Koalitions­vertrag gemacht ist, man ihn dann den Beamten gibt und fünf Jahre in Urlaub geht.“

Es ist nicht so, dass man den Koalitions­vertrag an Beamte gibt und fünf Jahre in Urlaub geht. Winfried Kretschman­n Ministerpr­äsident

Gemeinsame­s Ziel ist es, Badenwürtt­emberg zum Klimaland Nummer eins zu machen. Thomas Strobl Cdu-landeschef

 ?? Foto: Marijan Murat/dpa ?? Sind sich einig, wie sie gemeinsam regieren wollen: Winfried Kretschman­n (Grüne) und Thomas Strobl (CDU).
Foto: Marijan Murat/dpa Sind sich einig, wie sie gemeinsam regieren wollen: Winfried Kretschman­n (Grüne) und Thomas Strobl (CDU).

Newspapers in German

Newspapers from Germany