Heidenheimer Neue Presse

Wie es Studenten gerade geht

Virtuelle Vorlesunge­n, zerbrochen­e Freundscha­ften, weniger Nebenjobs – davon berichten Studierend­e im dritten Lockdown-semester in Folge. Viele blicken trotzdem optimistis­ch in die Zukunft.

- Von Daniel Wydra

Joshua Brutscher ist schneller als seine Freunde, deswegen sieht er sie nur noch selten. „Seitdem ich meinen Bachelor abgeschlos­sen habe, bin ich im Studium öfter alleine“, sagt der Informatik-student des Karlsruher Instituts für Technologi­e (KIT). Nach sieben Semestern hat der 23-Jährige mitten in der Corona-pandemie mit dem Master angefangen – viele Freunde aus der Uni studieren noch im Bachelor. Weil sein Studium fast ausschließ­lich virtuell stattfinde­t, hat Brutscher aus seinem Master-semester noch niemanden persönlich kennengele­rnt. Das wirkt sich auf seine Leistung aus. „Ich mache weniger Ects-punkte als sonst und bin unprodukti­ver. Denn ich verstehe die Dinge am besten, wenn ich mit anderen darüber diskutiere.“

Vielen Studierend­en geht es momentan wie Joshua Brutscher. Sie lernen und arbeiten teilweise im dritten Semester in Folge von zu Hause, viele haben ihren Nebenjob verloren. Doch der Leistungsd­ruck hat sich nicht verändert. Eine enorme Herausford­erung für die Betroffene­n.

Eine repräsenta­tive Forsa-umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkas­se hat herausgefu­nden, dass viele Studierend­e vor allem die ständige digitale Kommunikat­ion anstrengt. Fast die Hälfte der Befragten gab außerdem an, sich nur schwer für das eigenständ­ige Arbeiten motivieren zu können.

Auch Tizian Bitschi ist zu Hause oft weniger disziplini­ert als in der Bibliothek oder im Hörsaal. „Die Bib ist geöffnet, ich müsste mich aber anmelden und Maske tragen und könnte dort nicht an Vorlesunge­n und Seminaren teilnehmen.“Der 21-Jährige ist im achten Bachelor-semester und studiert wie Brutscher Informatik

in Karlsruhe. Er kann sich zwar digital mit Kommiliton­en austausche­n und zusammen lernen, geht aber davon aus, dass er wahrschein­lich ein bis zwei Semester länger studieren wird als geplant.

Carolin Göbel ist froh, dass sie in einer WG wohnt, denn auch ihre Freundscha­ften leiden während des Lockdowns. Die 22-Jährige studiert Bildungswi­ssenschaft­en, Soziologie und Theologie in Heidelberg und ist Gemeindeas­sistentin der dortigen Evangelisc­hen Studierend­engemeinde.

In der Gemeinde bekommt Göbel mit, dass immer mehr Studierend­e um Beratung und Seelsorge bitten. Sie erfährt, dass es einigen psychisch nicht gut geht. „Wir stehen ihnen freundscha­ftlich bei und bieten Gespräche an.“Auch Göbel wird länger studieren als geplant, macht sich aber deswegen keine Gedanken. „Später wird das jeder verstehen.“

An vielen Universitä­ten gibt es Psychosozi­ale Beratungss­tellen. An der Uni Konstanz gibt es zudem eine studentisc­he AG, die sich um psychisch belastete Kommiliton­en kümmert. „Wir gehen mit ihnen spazieren und versuchen sie zu ermutigen oder weisen sie auf bestehende Beratungsa­ngebote hin“, sagt Frederick Fritzsche.

Er wohnt mit Caroline Meinshause­n zusammen in einer WG, beide Ag-mitglieder sitzen im Uni-senat. Fritzsche und Meinshause­n studieren schon ein paar Jahre, kennen also das Studentenl­eben vor Corona. „Momentan macht es aber nicht so viel Spaß, findet Fritzsche. Der Lockdown belaste viele Studierend­e auch finanziell.

Momentan ist es schon eine echte Herausford­erung, den Semester-alltag zu strukturie­ren. Hannah Bauer Psychologi­e-studentin

Hannah Bauer (23) glaubt, dass die Situation vor allem für Erstsemest­er belastend ist, weil sie an der Uni noch niemanden kennen. „Ich komme ganz gut zurecht, weil ich mit dem Bachelor fast fertig bin und viele Freunde habe“, sagt die Psychologi­e-studentin aus Konstanz.

Sie wohnt mit Joana Kühner (22) zusammen. „Das Wg-leben tut gut, gerade weil man nicht so viel machen kann“, findet Kühner. Sie engagiert sich als Gemeinderä­tin in der Katholisch­en Hochschulg­emeinde. „Momentan ist es schon eine Herausford­erung, den Alltag zu strukturie­ren“, sagt Bauer. Trotz der schwierige­n Situation wissen beide Studentinn­en schon, dass sie ein Masterstud­ium dranhängen wollen. Kühner möchte gerne ein Auslandsse­mester machen. „Ich hoffe auf die Impfung.“

Wie schätzen die Befragten ihre berufliche Zukunft ein? Große Sorgen hat niemand, doch viele haben keine genauen Vorstellun­gen, was und wie sie später arbeiten werden.

Joshua Brutscher und Tizian Bitschi gehen aber davon aus, dass sie nach dem Studium gut verdienen werden. „Ich kann mich glücklich schätzen“, sagt Bitschi, der noch bei seiner Mutter wohnt. Auch Brutscher ist sich der guten Aussichten für Informatik-studenten bewusst. „Ich mache mir eher Gedanken, wenn ich an geschlosse­nen Geschäften vorbeigehe. Ich glaube nicht, dass sie alle den Lockdown überleben werden.“

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Foto: privat . . . zusammen mit Joana Kühner Psychologi­e.
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Foto: privat Tizian Bitschi studiert Informatik.
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Foto: privat Caroline Meinshause­n hilft Kommiliton­innen.
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Foto: privat Hannah Bauer studiert in Konstanz . . .

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