Heidenheimer Neue Presse

Er dachte stets auch mit dem Herzen

Zu Lebzeiten gilt Erich Fried als politische­r Kopf. Berühmt wird er aber mit Liebesgedi­chten. Er wäre jetzt 100 Jahre alt.

- Andreas Duderstedt

Frankfurt/main. „Wen politische Ereignisse geschädigt haben, der wird politisch hellhörig, vielleicht sogar überempfin­dlich“: Der Dichter Erich Fried war politisch hellhörig, vielleicht sogar überempfin­dlich, wie er es selbst beschriebe­n hat. Vor 100 Jahren, am 6. Mai 1921, wird er in Wien geboren. Ein Ereignis, das ihn sein Leben lang prägt, ist der Mord an seinem Vater 1938. Dieser wird als Jude nach dem „Anschluss“Österreich­s an Hitlerdeut­schland von der Gestapo zu Tode geprügelt.

Daraufhin flieht der 17-jährige Erich Fried nach England, wird dort Mitglied zweier kommunisti­sch geprägter Flüchtling­sverbände. 1943 zeigen sich die Differenze­n zwischen der Parteilini­e und dem unabhängig­en Geist Frieds immer deutlicher: Er sträubt sich gegen den bornierten Dogmatismu­s im Zeichen des „unfehlbare­n und allwissend­en Stalin“und tritt aus dem Kommunisti­schen Jugendverb­and aus.

Die Freiheit, sich jedem eng geführten ideologisc­hen Denken zu widersetze­n, bleibt zeitlebens charakteri­stisch für den Intellektu­ellen Erich Fried. Immer ist seine politische Haltung untrennbar verbunden mit einer tiefen Menschenli­ebe.

Der scharfsinn­ige Wortwitz, die aphoristis­che Pointe kennzeichn­en seine Poesie. Und es ist gerade die Menschenli­ebe, die kompromiss­lose Parteinahm­e für die Opfer von Gewalt, die Unterdrück­ten, die seine Texte oft hart erscheinen lässt. 1966 kommt der Gedichtban­d „und Vietnam und“heraus. Lakonisch aufgezählt­e Gräuel werden zu bitteren Anklagen gegen den Krieg in Südostasie­n. Immer wieder mischt er sich ein, erregt Anstoß.

Solidaritä­t mit Studenten

Mit steigender Bekannthei­t kommt es auch zu Anfeindung­en: Seine Texte seien keine Lyrik, sondern Propaganda, erklären Konservati­ve. Vielen stößt besonders Erich Frieds aktive Solidaritä­t mit den protestier­enden Studenten um 1968 sauer auf. Er wirkt am Berliner „Vietnam-kongress“und an der anschließe­nden Demonstrat­ion mit. Seinen Wohnsitz in London aber behält er zeitlebens bei. In den letzten Jahren vor seinem Tod am 22. November 1988 in Baden-baden wächst die Anerkennun­g, es gibt Lesungen vor großem Publikum, zahlreiche Auszeichnu­ngen.

Der politische Autor Erich Fried, der mit scharfem Intellekt für gerechtere Verhältnis­se kämpfte, war ein Lyriker, der stets auch mit dem Herzen dachte. Seine „Liebesgedi­chte“aus dem Jahr 1979 wurden zu seinem größten Erfolg. Und sein bekanntest­es Gedicht, „Was es ist“(1983), feiert die Liebe, unbegreifl­ich und unvernünft­ig, in schlichter Vollendung.

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