Heidenheimer Neue Presse

„Warum Frauen selten töten“

Mord und Totschlag werden meist von Männern verübt. Eine Kriminolog­in erklärt, wann Frauen zu Täterinnen werden.

- Von Miriam Plappert

In Oberstadio­n bei Ulm soll eine Frau ihre Kinder getötet haben. In Potsdam wird eine Betreuerin zur mutmaßlich­en Täterin. Mord und Totschlag durch Frauen sind extrem selten. Die Kriminolog­in Fredericke Leuschner spricht darüber, wann Frauen töten.

Warum sind viele Menschen so schockiert, wenn Frauen zu Täterinnen werden? Fredericke Leuschner:

Es ist interessan­t, dass Sie sagen, dass die Leute schockiert sind. Die Frage, die sich die kriminolog­ische Forschung eher stellt, ist, warum Frauen so selten und nicht öfter zu Täterinnen werden. Aber es stimmt natürlich: In der Gesellscha­ft kommt immer die Frage auf, wie konnte eine Frau das machen? Ich glaube, das passt einfach nicht in die alten Rollenbild­er, in denen der Mann der Aggressor ist, der die Handlungsm­acht besitzt. Verstöße von Frauen gegen bestehende Normen, insbesonde­re gegen Rechtsnorm­en, sind untypisch und selten. Die Überraschu­ng kommt mit der Seltenheit.

Wie hoch ist der Anteil an Frauen, die Straftaten begehen?

Über die Zeit hinweg zeigt sich, dass im Hellfeld, also Delikte, die den Strafverfo­lgungsbehö­rden bekannt sind, etwa ein Viertel aller Straftaten von Frauen begangen wird. Tötungsdel­ikte sind extrem selten und mit 0,1 Prozent aller durch Frauen begangenen Delikte die absolute Ausnahme.

Wie erklären Sie sich den Unterschie­d in der Delikthäuf­igkeit zwischen Männern und Frauen?

Eine wirkliche Erklärung gibt es dazu bis heute nicht. Es gibt verschiede­ne Annahmen aus der Soziologie und der Biologie. Wahrschein­lich spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Bei Körperverl­etzungsdel­ikten durch junge Männer spielt Testostero­n vermutlich eine gewisse Rolle. Sicherlich sind auch die Rollen, die Mann und Frau in der Gesellscha­ft übernehmen, entscheide­nd. Aber auch die Tatgelegen­heit ist relevant.

Gibt es bestimmte Gelegenhei­ten, bei denen Frauen eher töten als Männer?

Frauen begehen häufig Taten im häuslichen Bereich, weil sie hier mehr Gelegenhei­t dazu haben. Bei Frauen finden Tötungsdel­ikte üblicherwe­ise im Familienkr­eis satt. Einen großen Anteil machen die Kindstötun­g, aber auch die Tötung des Partners aus. Das sind die, ich sag mal, frauentypi­schen Tötungsdel­ikte, wobei hier nicht zu vergessen ist, dass Tötungen der Intimpartn­erin durch Männer dennoch häufiger geschehen.

Gibt es Gemeinsamk­eiten bei Frauen, die ihre Kinder töten?

Früher hieß es immer, es seien besonders junge Frauen, die überforder­t sind und die Schwangers­chaft nicht wahrhaben wollen, weshalb sie das Kind direkt nach der Geburt töten. Es hat sich aber gezeigt, dass das nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun hat. Vielmehr sind wirklich tiefgreife­nde psychische Verarbeitu­ngsprozess­e im Spiel. Die Frauen fangen an, die Schwangers­chaft komplett zu verleugnen. Die Tötung ist dann einfach nur der Höhepunkt der Verleugnun­gsgeschich­te. Das sind relativ häufige weibliche Taten. Bei der Tötung von älteren Kindern spielen auch psychische Auffälligk­eiten wie Psychosen oder Depression­en eine Rolle. Die Mutter hat das Gefühl, sie schafft es nicht, und glaubt, dem Kind nicht gerecht werden zu können. Sie will sozusagen das Beste für das Kind und erlöst es von dem subjektiv wahrgenomm­enen Leid.

Und wie verhält es sich mit Tötungsdel­ikten in der Pflege?

In unserer Gesellscha­ft pflegen zum größten Teil Frauen die Angehörige­n. Männer tun das viel seltener. Regelmäßig erleben die Täterinnen eine Überlastun­g. Die Pflegebezi­ehung bestimmt ihr Leben, wovon sie sich lösen wollen. Bestimmte Krankheits­bilder machen die Pflegesitu­ation noch schwierige­r. Ich denke da zum Beispiel an Demenz-erkrankung­en, wo nicht selten eine gewisse Aggression von der gepflegten Person ausgeht. Wenn sich die Frauen keine Hilfe von außen suchen, können diese Schwierigk­eiten in einer Tötung enden.

Gilt das auch für Berufspfle­gerinnen?

Es ist ein ähnlicher Mechanismu­s. Nur müssten da ganz andere Schutzfakt­oren vorher greifen. Auch hier ist der Anteil von Frauen, die zu Täterinnen werden, relativ hoch, was auch daran liegt, dass Pflegepers­onal überwiegen­d weiblich ist. Ich glaube, es wurde im Rahmen von Corona wirklich häufig darauf hingewiese­n; so wirklich geändert hat sich aber trotzdem nichts: Es ist ein wahnsinnig ressourcen­zehrender Beruf mit Schichtarb­eit und Personalma­ngel, der richtig an die Nerven gehen kann. Da müsste natürlich von den Arbeitgebe­rn eingegriff­en werden. Je schwierige­r die Situation für die Täterinnen ist, umso höher ist die Wahrschein­lichkeit, dass ein Übergriff passiert.

Spielen denn psychische Erkrankung­en bei Tötungsdel­ikten durch Frauen eine größere Rolle als bei Männern?

Wenn eine Frau eine Tat begeht, die dann auch noch total rollenunty­pisch ist, wie die Tötung eines Kindes oder die Tötung von Angehörige­n, werden die Gründe immer wieder in der Abnormität gesucht, um nicht die wirklichen Ursachen finden zu müssen. Kriminolog­en diskutiere­n auch, ob das vor Gericht eine Rolle spielt: ob ein Richter oder Staatsanwa­lt bei Frauen eher als bei Männern auf die Idee kommt, einen Gutachter einzuschal­ten und die Schuldfähi­gkeit prüfen zu lassen. In Deutschlan­d gibt es dazu noch keine Studien. Im Ausland wird das teilweise angenommen, die Ergebnisse sind aber nicht wirklich auf deutsche Verhältnis­se übertragba­r.

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