Wenn Blödsinn zum Segen wird
Seit bald einem Jahr senden Inge Grein-feil und Siggi Feil als „Corona und Boriss“täglich Lebenszeichen per Videoclip. Eine Seifenoper vor dem ernsten Hintergrund von Lockdown, Kunst in Not und soziokultureller Arbeit in Bedrängnis.
Ob Corona ihren Namenstag wohl feiert? Wahrscheinlich fragt sie vorher Boriss, ob sie darf. Und bei dem weiß man nie. Trotzdem sind sie ein Herz und eine Seele: Boriss und Corona, Corona und Boriss. Seit bald einem Jahr verzapfen der vorgebliche Russe und seine mit ihm in wilder Ehe lebende Partnerin nun schon allerhand Blödsinn im Internet. Täglich. Am 18. Mai wird die 365. Folge dieser hausgemachten Video-seifenoper zu sehen sein.
Zuvor aber könnte sich eines dieser meist so um die fünf Minuten langes Filmchen mit Coronas Namenstag befassen. Der wird am 14. Mai begangen. Manchmal auch am 20. Februar. Aber man weiß ja auch nicht so genau, wann und wo genau die heilige Corona gelebt hat. Sie soll gerade mal 16 Jahre alt gewesen sein, als sie aufgrund des Festhaltens an ihrem Glauben den Märtyrertod starb. Der Namenstag im Mai hätte auf jeden Fall den Vorteil, dass Boriss und Corona noch mit einem Video darauf reagieren könnten. Man wird sehen.
Der Moped-rocker
Wissen tut man indes bereits: Hinter „Corona und Boriss“stecken Inge Grein-feil und ihr Gatte Siggi Feil. Er ist Corona. Sie wiederum, die Prinzipalin der Dischinger „Arche“und Vorsitzende der Aktion „Freunde schaffen Freude“, spielt in den Videos nicht nur Boriss, sondern auch dessen Mutter und dessen auf Moped-rocker machenden Sohn, Hägi. Boriss ist ein Familienpatriarch ganz alter Schule. Corona hingegen versteht oft nur Bahnhof. Vielleicht tut sie aber auch bloß so. Jedenfalls versteht sich das nicht nur auf den ersten Blick mehr als ungleich wirkende Paar bestens. Gestritten wird nicht.
Boriss übrigens gibt es schon viel länger als Corona. Mit der Kunstfigur dieses Namens war Inge Grein-feil schon immer wieder mal unterwegs. Nicht allein, sondern in Begleitung einer gewissen Olga, der Siggi Feil Statur und Gesicht verlieh. Dass aus Olga im Mai des vergangenen Jahres Corona wurde, ist selbstverständlich dem gleichnamigen Virus zu danken. „Wir wollten dem Namen den Schrecken nehmen“, sagt Inge Grein-feil. Und im heimatlichen Dischingen hat das auch wunderbar geklappt. Dort rufen die Kinder „Du, Inge, was macht denn Dei Corona?“.
Ursprünglich wollten Inge Grein-feil und Siggi Feil mit „Corona und Boriss“zu Beginn der mit einem ersten Lockdown einhergehenden Corona-zeit ein wenig Spaß und Zuversicht schenken. „Fünf Minuten Blödsinn von der Art, die uns liegt“, wie es Inge Grein-feil formuliert. „Damit die Leute reagieren.“Dass man ein Jahr später immer noch auf Sendung sein würde, hätte man im Leben nicht geglaubt. „Allerhöchstens bis September, haben wir gedacht, dann geht alles wieder seinen normalen Gang.“
In der Zwischenzeit bezwecken Inge Grein-feil und Siggi Feil mit „Corona und Boriss“nicht mehr nur ein bisschen Blödsinn. „Es geht längst selbstverständlich auch darum, im Gespräch zu bleiben, zu zeigen, dass es uns, die Aktion und die Arche noch gibt.“Und noch darüber hinaus geht es dann ebenso darum zu zeigen, „dass alte Dackel wie wir, die eigentlich gar nicht mehr müssten, sich was einfallen lassen, sich nicht verkriechen, sich nicht unterkriegen lassen.“
Kleine Dosis Hintersinn
Die Themen, mit denen sich Boriss, Corona, Hägi und Co. beschäftigen, sind mannigfaltig. Es geht um Gott und die Welt, aber auch um Beuys oder Partnervermittlung. Wobei letzterem Umstand Hägi jetzt eine Oslinde verdankt, die von Siggi Feil verkörpert wird. Einmal pro Woche wird nahezu ein ganzer Tag ausschließlich mit Dreharbeiten verbracht. Hinter der Kamera steht Stefanie Zengerle. Mindestens sieben Videoclips entstehen dabei hintereinander weg. Das Thema ist jeweils vorgegeben, alles andere entsteht, frei improvisiert, aus der Situation heraus.
Wert legen „Corona und Boriss“allerdings darauf, dass in jedem Beitrag eine kleine Dosis Hintersinn und weltanschaulicher Ernsthaftigkeit mittransportiert wird. Die kann auch mal politischer Natur sein, wobei das, wie Inge Grein-feil sehr schnell bemerken musste, „oft gleich wieder Reaktionen nach sich zieht, auf die ich keine Lust und für die ich auch keine Zeit habe“.
Nach bald einem Jahr auf Sendung wurde die Marke „Corona und Boriss“so weit etabliert, dass inzwischen sogar Gastauftritte regionaler bis überregionaler Zelebritäten zum Geschäft gehören. Die Kabarettisten Bernd Kohlhepp alias Hämmerle und Ernst Mantel waren ebenso bereits mit von der Partie wie die Gitarristen Siggi Schwarz und Werner Dannemann, der Beatboxer „Robeat“, die Künstlerin Mel Koschel oder ein Nana-mouskouri-double.
Oder der frühere Heidenheimer Stadtbibliothekar Klaus-peter Preußger, der, so viel sei schon verraten, die 365. Folge von „Corona und Boriss“am 18. Mai mit Otto Reutters Couplet „In 50 Jahren ist alles vorbei“würzen wird. Gedreht wird längst nicht mehr nur zu Hause in den eigenen vier Wänden am Küchentisch, sondern im Einkaufszentrum, in der Apotheke oder im Heidenheimer Römerbadmuseum.
Seit 37 Jahren gibt es die in vielfacher sozialer Hinsicht aktive Aktion „Freunde schaffen Freude“mittlerweile. Sie und die soziokulturelle Begegnungsstätte „Arche“werden am Leben gehalten durch Spenden und die Kabarett-veranstaltungen der Abteilung „Kultur in der Arche“. Kultur findet derzeit und seit langem nicht statt. Die Aktion als solche allerdings ist akut noch nicht in Gefahr. „Es gibt glücklicherweise nach wie vor Menschen, die uns mit Spenden unterstützen“, sagt Inge Grein-feil. Gespendet wird übrigens mitunter auch für „Corona und Boriss“. So wird der Blödsinn dann zum Segen.