Heidenheimer Neue Presse

101. Geburtstag ohne Zwilling

Den gemeinsame­n 100. hat Katharina Schwarzbau­er noch mit ihrer Schwester Anna gefeiert. Die ist jetzt an Corona gestorben – nach ihrer Impfung.

- Von Patrick Guyton

Auf der Trauerkart­e steht: „Die Mama war‘s – was braucht’s der Worte mehr.“100-jährig ist Anna Zitzelsber­ger am 29. Januar 2021 im Pflegeheim in Ruhmannsfe­lden gestorben. Ihre Zwillingss­chwester Katharina Schwarzbau­er lebt weiterhin in dem Markt im Bayerische­n Wald, diese Woche wurde sie 101. Die beiden waren fit beim Besuch im vergangene­n Herbst. Schwarzbau­er sagte: „Ich bin pumperlgsu­nd.“Auch die Schwester Anna stand in der Früh immer auf und wurde mit dem Rollstuhl geschoben, oft gingen sie mit Tochter und Nichte für einen Kuchen ins nahe Café Mader. Zu dieser Zeit war Corona abgeebbt, Besuche waren erlaubt.

Die Jahrhunder­tfrauen waren das einzige Zwillingsp­ärchen in diesem Alter in Deutschlan­d. Sie erzählten von ihrem harten, aber geerdeten Bayerwald-leben, vom Aufwachsen mit neun Geschwiste­rn in einer Bauernfami­lie. Es wurde Holz gehackt, man lebte vom Wald, der Vater war auch Wilderer, sonst hätte er die Familie nicht durchgebra­cht. Eine raue, versunkene Welt.

Immer blieben sie nah beieinande­r, heirateten, bekamen Kinder, Enkel, Urenkel. Zuletzt teilten sie sich ein Zimmer im Heim.

Von Oktober an, als die Infektions­zahlen wieder in die Höhe schnellten, durften sie nicht mehr besucht werden. „Aber wir haben geskypt, alle 14 Tage“, erzählt Margot Wagner, die Tochter von Anna Zitzelsber­ger. Das Pflegepers­onal organisier­te das, hielt den beiden das Handy bereit. „Die Mama war putzmunter“, erinnert sich Wagner.

Am 23. Januar erhielten die betagten Schwestern ihre erste Corona-schutzimpf­ung. „Das war schon eine Erleichter­ung“, sagt Wagner. Denn viele Bewohner und Teile des Personals hatten sich trotz aller Schutzmaßn­ahmen infiziert. Zwei Tage nach der Impfung rief das Heimperson­al an: Die Schwestern sind Corona-positiv. Es braucht eine gewisse Zeit, bis die Erstimpfun­g ihre Wirkung aufbaut. Ob sie tatsächlic­h infiziert waren, lässt sich nicht rekonstrui­eren. Den beiden gehe es „so weit gut“, meinten die Pflegekräf­te.

Wagner und ihre Schwester Christine Heimerl, die sich hauptsächl­ich um die beiden kümmerten, konnten nichts weiter machen. Zwei Tage später sagte man ihnen, die Mutter sei „ein bisschen matt, sie schläft“. Dann wurden die Mitteilung­en immer schlechter: Der Zustand sei „nicht so gut“. Tags darauf wurde gesagt: „Es geht dem Ende zu, Sie dürfen kommen.“Nach Negativ-tests und in Schutzklei­dung eingehüllt, konnten alle ins Zimmer, die Töchter und auch die Enkel.

„Wir haben uns verabschie­det“, sagt Wagner. Am 29. Januar morgens um 3.55 Uhr sei ihre Mutter dann „friedlich eingeschla­fen“. Da waren sie da. Sie streichelt­en der Verstorben­en über die Wangen. Der Arzt sagte: „Mit 100 darf man an allem sterben, nur nicht an Corona.“

Am 3. Februar wurde Anna Zitzelsber­ger beerdigt, im Familiengr­ab auf dem Friedhof von Gotteszell, neben der Pfarrkirch­e St. Anna. „Es hat nur gegossen und war sehr kalt“, erinnert sich Wagner. 25 Angehörige waren zugelassen, die Kirche blieb wegen Corona abgesperrt.

Die Schwester Katharina kam nicht, sie war zusammenge­brochen und musste in eine Klinik gebracht werden. Dort verlegte man sie auf die Palliativs­tation, weil ihr Zustand aussichtsl­os erschien. „Doch irgendwie hat sie sich wieder derrappelt“, sagt die Nichte. Im März kam sie zurück ins Heim. „Sie vermisst ihre Schwester sehr und möchte nun bald eine Messe für sie lesen lassen.“

Die Angehörige­n kamen zum 101. diese Woche in kleiner Runde und gemäß den Corona-vorschrift­en zusammen. Das traditione­lle Geburtstag­sessen im Gasthof „Hacker“in Gotteszell fiel freilich aus. Vielleicht ja zum 102. dann wieder.

Mit 100 darf man an allem sterben, nur nicht an Corona. Der Arzt nach Anna }itzelsberg­ers aod

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Die Zwillingss­chwestern Katharina (links) und Anna 2020.

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