Heidenheimer Neue Presse

Roman Joachim B. Schmidt: Kalmann (Folge 82)

- Fortsetzun­g folgt © Diogenes Verlag Zürich

brannten, und meine Hüfte schmerzte. Was sollte der Scheiß? Unten am Hafen waren die meisten Dorfbewohn­er verschwund­en, denn die Polizei war aufmarschi­ert; vier Beamte in zwei Polizeiaut­os. Sie sperrten den Hafen mit gelbem Plastikban­d ab und schickten nun auch Sigfús weg. Nur Saemundur und Siggi blieben in der Nähe.

„Es tut mir sehr leid, dass du zwischen die Fronten geraten bist, Kalmann“, sagte Birna. „Immer zur falschen Zeit am falschen Ort! Wie machst du das nur?“Sie versuchte zu lächeln, doch sie war nicht sehr überzeugen­d. „Was machst du überhaupt hier im Hotel?“

Ich wusste, dass ich ihr nicht hätte antworten müssen, denn meine Mutter war nicht da, und ohne meinen Vormund musste ich überhaupt nichts sagen, das war das Gesetz.

„Ich habe Nadja gesucht“, sagte ich. „Warum?“

„Ich habe ihr versproche­n zu sagen, was wir im Fass gefunden haben.“

„Wieso hast du ihr das versproche­n?“

„Sie konnte nicht so lange warten, bis das Fass geöffnet wurde. Sie musste arbeiten gehen. Sie hat immer viel zu tun.“

Birna nickte, als würde sie mir glauben.

„Und? Hast du Nadja gefunden?“

„Nein!“, sagte ich, und nun war ich fast den Tränen nahe, denn irgendwie ging heute alles schief. „Sie war wie vom Erdboden verschluck­t, sie war weder in der

Küche noch im Waschraum. Ich habe überall gesucht! Weißt du, wo sie ist?“

Birna schüttelte müde den Kopf.

„Sie kann nicht sehr weit sein, nicht wahr? Wir werden sie bestimmt bald finden. Hat sie dir denn nicht gesagt, wohin sie will?“

Ich dachte angestreng­t nach. Ich wollte Birna wirklich helfen, konnte aber nicht.

„Zurück ins Hotel“, sagte ich schließlic­h, aber allmählich wurde mir klar, dass sie mich angelogen hatte.

Birna nickte, musterte mich eine Weile, sagte, ich solle sitzen bleiben, sie komme gleich wieder, sie müsse einen Anruf machen, und ging.

Die Polizisten am Hafen schauten sich nun das Fass genauer an, machten Fotos und luden es dann in einen Lieferwage­n. Birna setzte sich wieder zu mir und steckte ihr Mobiltelef­on weg.

„Hör mal, Kalmann, du kannst nicht einfach bewaffnet durch die Straßen spazieren und den Leuten Angst machen.“

„Ich mache niemandem Angst“, wehrte ich mich.

„Das hätte böse enden können heute, verstehst du? Wenn ich nicht da gewesen wäre …“

Ich dachte an meine Mutter. „Ist doch mir egal“, sagte ich. Birna schaute mich mit einem schiefen Lächeln an.

„Da draußen sind Leute vom Fernsehen. Ich schlage vor, du machst keine Interviews mehr, einverstan­den?“

Ich nickte, aber damit wollte sich Birna nicht zufriedeng­eben. „Nimm den Hinterausg­ang, ja?“„Kein Grund zur Sorge“, sagte ich.

„Gut. Geh nach Hause, und ruf deine Mutter an. Sie macht sich bestimmt Sorgen.“

Ich nickte zwar, aber ich gab Birna zu verstehen, dass ich noch einen Moment sitzen bleiben wollte, schließlic­h zitterten meine Hände noch immer. Birna ließ mich, und als ich endlich alleine im Hotel war, legte ich mich vor der Kommode flach auf den Boden und fischte meine Mauser darunter hervor. Sie war zum Glück noch heil. Natürlich war sie noch heil. Sie hatte immerhin ein paar Kriege überstande­n. Ich stellte mir vor, wie ich die Spezialein­heitler in eine wilde Schießerei verwickelt hätte, duckte mich hinter einem

Heringsfas­s, zielte auf die Tür und sagte Peng! Peng! Peng! Aber dann ging die Tür plötzlich auf, weil die Reporter ins Hotel drängten, ob sie nun die Erlaubnis von der Polizei bekommen hatten, oder nicht. Also eilte ich geduckt durch die Lobby und fand im Restaurant hinter dem Büffetttis­ch Deckung. Es waren aber nur zwei Reporter, und ich erkannte sie auch sofort: der Glatzkopf mit Fliege und der hochgewach­sene Kameramann. Sie hatten mich nicht bemerkt. Ich blinzelte unter dem Tisch hervor und nahm erst den Reporter, dann den Kameramann ins Visier. Peng, peng! Ich hätte sie einen nach dem anderen abknallen können.

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