Soll man die Impf-patente freigeben?
Us-präsident Joe Biden will den Patentschutz vorübergehend aufheben. Wäre armen Ländern damit geholfen?
Pro Ulrike Sosalla
Nachrichtenchefin
Corona hat viele hässliche Seiten der Globalisierung offengelegt. Eine davon beim Thema Impfungen: Während die EU Fortschritte macht, während Großbritannien und die USA sich der Herdenimmunität nähern, konnten sich viele Staaten in Afrika, Lateinamerika und Asien bisher nur lächerlich geringe Mengen an Impfstoffen sichern.
Die Unzufriedenheit im globalen Süden über die Wir-zuerst-politik der wohlhabenden Staaten wächst. Und nicht nur das: Solange das Virus in einigen Weltregionen unkontrolliert wütet, bedrohen Mutationen auch die Impferfolge der anderen Länder.
Eine zeitlich begrenzte Aussetzung der Patente auf die Corona-impfstoffe ist zwar kein Wundermittel, um schnell mehr Dosen zu produzieren. Doch es wäre ein dringend notwendiger erster Schritt.
Und anders, als Konzernvertreter glauben machen wollen, würde eine solche Aussetzung die Forschungsleistung der Patentinhaber keineswegs zunichtemachen. Impfstoffproduktion ist ein diffiziles Unterfangen, und es spricht viel dafür, dass etwa Biontech/pfizer immer noch mehr und besseren Impfstoff herstellen würden als die Nachahmer – und Geld verdienen würden sie auch weiterhin, wahrscheinlich nur weniger.
Diesem Verlust stünden zwei große Gewinne für die ganze Welt gegenüber. Eine Patent-aussetzung könnte die Basis legen, um das Coronavirus endlich weltweit in die Schranken zu weisen; und sie könnte die Forschung an weiteren Impfstoffen, etwa gegen Mutationen, beschleunigen.
Kurzfristig allerdings bringt das nur wenig. Da hilft nur eines: Die Industrieländer müssen einen Teil ihrer überschüssigen Impfstoffe abgeben.
Contra Hajo Zenker
Korrespondent
Impfstoff für alle – überall in der Welt. Was für eine Verheißung. Sie soll durch das Aussetzen des Patentschutzes für Corona-vakzin erreicht werden, wie nun auch die Us-regierung meint. Doch liegt es tatsächlich am Patentschutz, dass es nicht genug Impfstoff gibt – besonders für ärmere Länder?
Vielmehr scheint es doch so, dass es schwierig ist, die in Rekordzeit entwickelten Vakzine zuverlässig massenhaft zu produzieren. Selbst für Spezialisten. Das vergleichsweise kleine Unternehmen Biontech hatte sich ja nicht umsonst den Pharmariesen Pfizer als Partner an Bord geholt, um die Fertigung hochzufahren – und trotzdem gab es anfangs Produktionsprobleme. Astrazeneca und Moderna wiederum haben solche Fertigungsschwierigkeiten noch längst nicht überwunden. Alle westlichen Hersteller sind mittlerweile Kooperationen mit spezialisierten Lohnfertigern oder gar direkten Konkurrenten, etwa in Deutschland und der Schweiz, eingegangen, um die Mengen zu erhöhen. Und auch die können ihre Anlagen beileibe nicht über Nacht auf Vakzin umstellen.
Wenn die USA jetzt etwas tun wollen, das sehr schnell wirkt, sollten sie ihre Ankündigungen wahr machen und die Anwendung ihres Kriegsproduktionsgesetzes in der Pandemie endlich aufgeben. Das sorgt bisher faktisch nicht nur für ein Exportverbot für fertige Impfstoffe, sondern auch für dringend benötigte Materialien. Weshalb etwa der weltgrößte Impfstoffhersteller mit Produktionsproblemen kämpft, der zuvor bereits Millionen Dosen an ärmere Länder geliefert hatte. Der sitzt übrigens in Indien – wo aktuell massenhaftes Impfen extrem wichtig wäre.