Heidenheimer Neue Presse

Streit um Patentschu­tz

Die USA wollen weltweit schnellere Impfungen erreichen. Die Schutzrech­te sollen daher freigegebe­n werden. Ob sich das Tempo auf diese Weise aber steigern lässt, ist unklar.

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US-präsident Joe Biden hat angekündig­t, den Patentschu­tz für Corona-impfmittel aufzuheben. Ob damit aber in aller Welt wirklich schneller geimpft werden kann, ist ungewiss. Antworten auf die wichtigste­n Fragen.

Warum will Biden den Patentschu­tz

aufheben? Er unterstütz­t einen Vorstoß der Welthandel­sorganisat­ion (WTO), die als Folge der eskalieren­den Krise in Indien sowie Südamerika die Freigabe fordert. Bidens Handelsbea­uftragte Katherine Tai spricht von einer „globalen Gesundheit­skrise, und außergewöh­nliche Umstände erfordern außergewöh­nliche Maßnahmen“. Hinzu kommt, dass zahlreiche demokratis­che Politiker Biden zu einer Ausnahme gedrängt hatten. Republikan­er hingegen sprechen von einer drohenden Enteignung der Pharmaunte­rnehmen.

Was halten deutsche Pharmaver

bände und Unternehme­n davon? Biontech-chef Ugur Sahin hält den Verzicht auf geistige Eigentumsr­echte für falsch. Biontech setze auf eine enge Kooperatio­nen mit Partnern und erwäge stattdesse­n die Vergabe spezieller Lizenzen für kompetente Hersteller, sagte er kürzlich bei einer Veranstalt­ung. Han Steutel, Präsident des Verbands der forschende­n Pharma-unternehme­n (vfa) in Deutschlan­d, nennt eine Patentfrei­gabe „reine Symbolpoli­tik statt Hilfe in der Not“. Niemand könne eine Produktion in weniger als sechs Monaten hochziehen. Und 2022 würden die jetzigen Hersteller sowieso mehr Impfstoff produziere­n, als die Weltbevölk­erung benötigt. Kai Joachimsen, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­ands der Pharmazeut­ischen Industrie (BPI), geht davon aus, dass es mindestens zwölf Monate brauche, bis ein Produzent sicheren Impfstoff zur Verfügung stellen könnte.

Was sind laut Verbänden die Risiken? Steutel warnt davor, dass eine Patentaufh­ebung von Investoren als Aufforderu­ng verstanden werden könnte, künftig kein Geld mehr in Seuchen-bekämpfung zu stecken. Ohne Unternehme­n, die bei der Forschung Risiken eingehen -– mit der Aussicht auf Patentschu­tz –, hätte es laut vfa weder so schnell Impfstoffe gegeben, noch würden die Unternehme­n in der Lage sein, Milliarden Dosen zu liefern. Joachimsen spricht von falschen Schuldzuwe­isungen: „Nicht Patente oder Schutzrech­te, sondern fehlende Ausgangsst­offe und Lieferengp­ässe für benötigte Technologi­en stehen einer Ausweitung der bereits extrem angekurbel­ten Produktion aktuell im Wege“, sagt er.

Würde die Aufhebung des Patentschu­tzes ausreichen, um weltweit

schneller zu impfen? „Wichtig wäre in einem nächsten Schritt auch ein Technologi­etransfer, damit in möglichst vielen Ländern Produktion­sstätten um- und ausgebaut werden können“, sagt Elisabeth Massute von „Ärzte ohne Grenzen“dieser Zeitung. Diese Transfers sollten direkt an geeignete Hersteller stattfinde­n oder nach einem Modell, bei dem Pharmafirm­en wie Biontech oder Moderna ihr Wissen der Weltgesund­heitsorgan­isation WHO zur Verfügung stellen, die dann wiederum Experten vor Ort einsetzt, um dort die Produktion vom Impfstoffe­n anzuleiten. Massute schätzt: „Innerhalb von sechs Monaten wäre das zu schaffen.“

Ein Problem mit dem Eingriff ins Patentrech­t hat man bei „Ärzte ohne Grenzen“nicht. „Die Forschung an den Impfstoffe­n ist mit großen Mengen an öffentlich­en Geldern gefördert worden“, betont Massute. Außerdem bedienten sich die Unternehme­n an Grundlagen­forschung, die ebenfalls zum großen Teil vom Staat finanziert werde. Massute spricht mit Bezug auf Corona-impfstoffe von einem Marktversa­gen, „vielleicht nicht in Deutschlan­d, gewiss aber in Ländern wie Südafrika, Kenia und Brasilien“.

Wie steht es um die Impf-priorisier­ung? Was mehrere Bundesländ­er längst praktizier­en, soll nun auch bundesweit gelten: Wer sich mit Astrazenec­a impfen lassen möchte, soll das tun können, unabhängig von Alter oder Vorerkrank­ung. Laut Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) wird bei Astrazenca gelten, „für Arztpraxen wie für Impfzentre­n, dass es dort keine Priorisier­ung mehr gibt“. Zudem solle der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfu­ng mit dem Präparat - derzeit zwölf Wochen – flexibler gehandhabt werden können.

Eigentlich soll laut Ständiger Impfkommis­sion (Stiko) Astrazenec­a wegen der Gefahr seltener Thrombosen in der Regel nur bei Menschen ab 60 Jahren eingesetzt werden. Anderersei­ts gibt es viele Jüngere, die sich gerne damit impfen lassen würden, aber in der offizielle­n Reihenfolg­e noch nicht dran sind.

Allerdings hält die Stiko nach eigenem Bekunden an der Notwendigk­eit der bestehende­n Impf-reihenfolg­e weiter fest. Sie weist darauf hin, dass noch rund 3,5 Millionen der 70- bis 79-Jährigen und etwa 7,3 Millionen der 60- bis 69-Jährigen nicht geimpft sein. Auch bei jüngeren Personen mit Vorerkrank­ungen sei nur ein Viertel einmal immunisier­t. dth, cast, hz, mg

Die Stiko hält an festgelegt­er Reihenfolg­e fest.

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Foto: Matthew Martin Brink/xinhua/dpa Impfstatio­n in Johannesbu­rg: Die Immunisier­ung in Südafrika kommt schleppend voran.
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