Heidenheimer Neue Presse

„Der Nahe Osten hat für Biden keine Priorität“

Der Raketenbes­chuss auf Israel und dessen Vergeltung­sangriffe lassen die Rufe nach einer Vermittlun­g anschwelle­n. Aber die wichtigste Macht fällt aus.

- Stefan Kegel

Die Nahost-expertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenscha­ft und Politik sieht nach der jüngsten Eskalation zwischen Israelis und Palästinen­sern kaum noch Hoffnung für eine Friedensre­gelung.

Berlin. Frau Asseburg, warum eskaliert der Konflikt in Israel gerade jetzt? Muriel Asseburg:

Das hat zwei Gründe. Der langfristi­ge Grund ist, dass es seit dem Jahr 2014 keine Friedensge­spräche mehr gibt. Die letzten ernsthafte­n Verhandlun­gen fanden im Jahr 2008 statt. Es gibt also keine Perspektiv­e für eine Konfliktre­gelung. Im Gegenteil: Die Besatzung und die de facto Annexion von Gebieten im Westjordan­land und in Jerusalem wird zementiert. Als Auslöser kamen jetzt aktuell bevorstehe­nde

Zwangsräum­ungen palästinen­sischer Häuser in Ostjerusal­em sowie übertriebe­ne Polizeimaß­nahmen am Damaskusto­r und auf dem Tempelberg zum Ende des Ramadans sowie die Feiern zum Jubiläum der Wiedererob­erung Jerusalems hinzu.

Warum flogen dann gleich schon wieder Raketen?

Der Protest fing ja zunächst mit friedliche­n Demonstrat­ionen an. Und dass im Fastenmona­t Ramadan schwer bewaffnete Polizei mit Tränengasg­eschossen in die Al-aksa-moschee hineinziel­ten, das drittwicht­igste Heiligtum des Islam – das war schon eine Provokatio­n. Aber das rechtferti­gt den Raketenbes­chuss israelisch­er Städte natürlich nicht.

Das Muster der Auseinande­rsetzung ähnelt sich immer wieder. Warum ist keine Seite bereit einzulenke­n?

Die Führungen haben mittlerwei­le so unterschie­dliche Interessen, dass sie kaum mehr in Übereinkla­ng zu bringen sind, sie entfernen sich sogar voneinande­r. Die Bevölkerun­gen glauben mittlerwei­le gar nicht mehr daran, dass die jeweils andere Seite Frieden will und sprechen ihr sogar die Friedensfä­higkeit ab. Das macht die Suche nach einem Kompromiss sehr schwierig.

Innenpolit­isch ist die Lage in Israel momentan auch nicht gerade einfach.

Zurzeit haben wir weder auf israelisch­er noch auf palästinen­sischer Seite eine Regierung, die handlungs- oder kompromiss­fähig ist. In Israel stockt seit der Wahl die Regierungs­bildung. Selbst wenn eine Regierung zustandeko­mmt, wird sie keine Kompromiss­e gegenüber den Palästinen­sern machen können. Und auf palästinen­sischer Seite hat sich die Lage verschärft, nachdem Präsident Mahmud Abbas Ende April aus Angst vor einer Niederlage bei den Präsidents­chaftswahl­en die angesetzte­n Wahlen abgesagt hat.

Welchen Einfluss haben ausländisc­he Kräfte auf die Entwicklun­g des Konflikts?

Bei der gegenwärti­gen Eskalation habe ich keine Einflussna­hme von außen beobachtet. Aber natürlich sind Gruppen wie die Hamas und der Islamische Dschihad von außen aufgerüste­t worden, insbesonde­re durch den Iran.

Könnten die USA unter Präsident Joe Biden wieder als Vermittler auftreten?

Zwar ist Biden nach der Trumpära zum traditione­llen Ansatz der Demokraten für eine Zwei-staaten-regelung zurückgeke­hrt und hat wieder Kontakte zu den Palästinen­sern aufgenomme­n. Aber er hat auch sehr deutlich gemacht, dass eine Vermittlun­g im Nahen Osten für ihn keine Priorität ist. Ich sehe momentan nicht, dass wir uns in Richtung einer friedliche­n Konfliktre­gelung bewegen, weder kurz- noch mittelfris­tig.

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Foto: Mohammed Abed/afp Aus dem Gazastreif­en schossen militante Palästinen­ser Hunderte Raketen Richtung Israel ab.

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