„Erstmal keinen starken Effekt“
anschauen. Die haben zufälligerweise drei Tage vor dem Beschluss der Verfassungsrichter durchgerechnet, welche Anstrengungen für eine Klimaneutralität bis 2045 nötig sein würden.
So müssen im Gebäudebereich spätestens ab 2030 jährlich fast doppelt so viele Häuser saniert werden wie momentan. In sechs Millionen Häuser müssen bis dahin Wärmepumpen verbaut werden, sechsmal mehr als jetzt. Im Verkehr müssten bis 2030 rund 14 Millionen Elektroautos unterwegs sein, eine Verzehnfachung des aktuellen Werts. Ab 2032 dürften Autos mit Verbrennungsmotor überhaupt nicht mehr zugelassen werden, so die Autoren. Und die Industrie soll durch den Einsatz von Wasserstoff schon 2040 weitgehend klimaneutral sein.
Kann das gelingen? „Die Antwort ist ein klares Ja“, sagt Rainer Baake, Chef der Stiftung Klimaneutralität. Baake ist kein Unbekannter in der Klimapolitik, jahrelang war er Staatssekretär im Umwelt- und im Wirtschaftsministerium. Der Schlüssel zum Erreichen dieser Ziele ist, das betont er vehement, ein massiver Ausbau der erneuerbaren Energien. Denn ohne ausreichend Ökostrom sind E-autos und Wärmepumpen nur wenig sinnvoll. Damit die Ökostromversorgung mit der zunehmenden Elektrifizierung Schritt hält, muss der Ausbau der Erneuerbaren massiv forciert werden: Allein an Land sind 1200 neue Windräder pro Jahr nötig – drei Mal so viele wie 2020 errichtet wurden. Auch die Leistung der Solarenergie muss sich bis 2030 verdreifachen.
Vor allem aber lässt sich das Ausstiegsdatum für die Kohleverstromung wohl nicht halten. „Wer glaubt, Kohlekraftwerke könnten noch bis 2038 laufen, macht sich Illusionen“, so Baake am Dienstag. Für die Kohleregionen, die sich auf einen geregelten Strukturwandel verlassen, würde das einen herben Schlag bedeuten. Die Stiftung schlägt vor, einen Mindestpreis von 50 Euro die Tonne für den Co2-ausstoß im Energiebereich festzulegen, der jährlich um drei Euro steigt. Mit diesem, so ist sich Baake sicher, wäre die Kohleverstromung bereits 2030 erledigt. In weiten Teilen von SPD und CDU will man den Kumpeln aber einen solchen Schlag nicht zumuten, erst Recht nicht im Wahlkampf (die CSU schon). Übernehmen könnte diesen Todesstoß allerdings die Realität, nämlich jene des Eu-emissionshandels. In diesem kostet der Ausstoß einer Tonne CO2 schon jetzt rund 50 Euro. Dass dieser Wert noch mal sinken wird, halten Experten für unwahrscheinlich. Erwartet wird das Gegenteil.
Oliver Geden,
Experte für Klimapolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärt, warum das neue deutsche Langfrist-co2ziel dem Klima nicht unbedingt etwas bringt, aber dennoch begrüßenswert ist.
Herr Geden, Deutschland will noch vor dem gemeinsamen Eu-ziel klimaneutral werden. Werden so wirklich Klimagase eingespart? Oliver Geden:
Es war immer klar, dass manche Länder in der EU vor 2050 klimaneutral werden müssen, damit andere bis nach 2050 dafür Zeit haben. Nur deswegen konnten Staaten wie Polen, die stark von der Kohle abhängig sind, einem gemeinsamen Ziel zustimmen. Bislang hatten sich nur kleinere Länder wie Schweden und Finnland dazu bekannt, früher als 2050 klimaneutral zu werden. Da entstehen nicht so große Spielräume, wie es nun bei Deutschland der Fall ist. Aber klar, einen wirklichen Effekt auf die Gesamtemissionen der EU hat eine frühere deutsche Klimaneutralität nicht. Aber das kann sich noch ändern, die Eu-ziele sind mit der Zeit ja immer schärfer geworden.
Mehrere Gesetze müssen für das Ziel Klimaneutralität geändert werden, ständigen politischen Streit inklusive. Ein Emissionshandel hingegen würde dem CO2 -Ausstoß einen ansteigenden Preis geben, im Industrieund Energiesektor wird so erfolgreich CO2 reduziert. Wäre es nicht sinnvoll, die restlichen Bereiche auch in diesen Handel aufzunehmen?
Das würde es grundsätzlich einfacher machen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es die Steuerungswirkung hin zu weniger CO2 verbessern würde. Das hätte wohl zur Folge, dass in manchen Sektoren die Transformation länger dauert. Würde man etwa den Verkehr in den bestehenden Emissionshandel integrieren, hätte das erst mal keine starken Effekte auf den Benzinpreis. Den Übergang zur E-mobilität würde man so nicht voranbringen.
Dem Klima ist doch gleichgültig, wo CO2 letztlich eingespart wird. Mit einem Emissionshandel würde das doch dort passieren, wo es am günstigsten ist.
Energieminister Altmaier inszeniert sich nun als Vorkämpfer für den Klimaschutz.
Ja, aber Sie würden die notwendigen Anstrengungen in den Bereichen, in denen geringe Preissignale keine Verhaltensänderungen
erzwingen, nach hinten verschieben. Es ist unrealistisch, dass die Autoindustrie zwischen den Jahren 2035 und 2040 plötzlich auf E-mobilität umstellen kann. Deswegen wird der Co2-ausstoß von Pkw zusätzlich reguliert. Das ist zwar kompliziert und bürokratisch, aber anders wird es nicht gehen.