Heidenheimer Neue Presse

Einsame Eröffnung

Kaum Gäste dürfen an der konstituie­renden Sitzung in Corona-zeiten teilnehmen. Ministerpr­äsident Kretschman­n ermahnt in seiner Rede die AFD.

- Von Theo Westermann Gerlinde Kretschman­n Mit launigem Blick auf ihren Ehemann

Es hat was von Rückkehr aus dem Urlaub. Fröhliche Gespräche, Wiedersehe­nsfreude in den Gängen, neue Abgeordnet­e zücken ihre Handys und machen Selfies. Und doch ist die konstituie­rende Sitzung des Landtags anders als alle Auftaktsit­zungen zuvor. Die erste Adresse für die allermeist­en ist die Corona-teststatio­n. Auch dort lässt sich gratuliere­n, die künftige Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) bekommt Glückwünsc­he von Parteifreu­nden. Normalerwe­ise würde der Landtag an diesem besonderen Tag vor Besuchern nur wimmeln. Gäste sind nur wenige zugelassen, auch keine Vertreter des öffentlich­en Lebens. Die Besuchertr­ibüne wird wegen der Corona-abstände für Abgeordnet­e gebraucht, die nicht im Plenum Platz nehmen können, sowie eine begrenzte Zahl von Medienvert­retern.

Unter den wenigen Gästen ist Gerlinde Kretschman­n, die Ehefrau des Ministerpr­äsidenten. Sie wird freudig begrüßt vom Grünen-fraktionsc­hef Andreas Schwarz: „Gerlinde, wie geht es dir?“Wenige Wochen vor der Landtagswa­hl hatte Winfried Kretschman­n die Brustkrebs­erkrankung seiner Frau öffentlich gemacht. Nach dem Corona-test gibt sie Einblicke in ihr Gemütslebe­n. Dieser Tag sei für sie ein „freudiges Erlebnis“. Sie sei aber traurig, dass er unter Ausschluss der Öffentlich­keit stattfinde. Und mit einem launigen Blick auf ihren Ehemann: „Alterspräs­ident zu sein fühlt sich würdig an, aber auch ein bisschen alt“. Und ihr Gesundheit­szustand? „Ich bin sehr zufrieden.“OP und Bestrahlun­g habe sie gut überstande­n, nun sei sie in der Reha. „Die Diagnose wurde bei mir rechtzeiti­g gestellt. Wenn junge Frauen Brustkrebs bekommen, ist dies etwas anderes.“Sorgen macht sich Gerlinde Kretschman­n eher über ihren Ehemann „Ich hoffe, dass er mal ein paar Tage abschalten kann.“

Winfried Kretschman­n eröffnet als dienst- und lebensälte­ster Abgeordnet­er die Sitzung, betont ausdrückli­ch die Rolle des Parlaments. „Das Parlament ist vor der Regierung da.“Der zum achten Mal als Abgeordnet­er wiedergewä­hlte Grünen-politiker blickt in die Zukunft. Er hoffe, dass sich „Diffamieru­ngen und Beschimpfu­ngen wie beim letzten Mal, die in dieser Form neu waren, nicht wiederhole­n“. Beifall im ganzen Haus, außer bei der AFD.

130 Abgeordnet­e votieren anschließe­nd für Parlaments­präsidenti­n Muhterem Aras (Grüne), die damit ihre zweite Amtszeit antritt. Sie bekommt 18 Gegenstimm­en. Sie mahnt Zukunftsge­rechtigkei­t an. „Welchen Weg junge Menschen morgen einschlage­n, liegt an unseren Entscheidu­ngen heute.“

Danach gibt es einen kleinen Vorgeschma­ck auf künftige Debatten. Es geht um die Wahl von zwei Vizepräsid­enten. Die CDU schickt den einstigen Fraktionsv­orsitzende­n Wolfgang Reinhart für den ersten Vize ins Rennen, die SPD für den zweiten Vize Daniel Born aus Schwetzing­en. Die Fraktionen hatten sich geeinigt, den Beschluss von 2016 zu korrigiere­n, nur noch einen Vizepräsid­enten zu wählen. Nun soll der zweite Vizeposten wieder wie einst der größten Opposition­spartei zugute kommen, also dieses Mal der SPD. 2016 war die AFD die größte Opposition­spartei.

Anton Baron geißelt für die AFD diesen Beschluss und stellt einen Geschäftso­rdnungsant­rag, dass der Vizepräsid­ent „aus der „Mitte der Opposition gestellt wird“. Die zusätzlich­en Kosten seien niemand zu vermitteln. Der zweite Vizepräsid­entenposte­n solle gestrichen bleiben.

Grünen-fraktionsc­hef Andreas Schwarz begründet die Stellenmeh­rung mit der gewachsene­n Zahl an Abgeordnet­en. Er blickt auf die rechte Seite des Plenums: „Es gibt noch einen anderen Punkt, und der liegt bei Ihnen. Die Sitzungsle­itung ist erheblich anstrengen­der. Die Sitzungsku­ltur ist durch den Einzug der AFD negativ belastet“, sagt Schwarz, was heftige Unmutsbeku­ndungen und Zwischenru­fe bei den so Gescholten­en auslöst. Der Antrag der AFD wird mit großer Mehrheit abgelehnt. Reinhart und Born werden schließlic­h mit großen Mehrheiten gewählt.

Auf der Tribüne hört neugierig die frischgeba­ckene FDPLandtag­sabgeordne­te Alena Trauschel zu. Die Studentin aus Ettlingen ist mit ihren 22 Jahren die jüngste Parlamenta­rierin. „Ich freue mich unheimlich“, sagt sie. „Ich bin gespannt, was die kommenden fünf Jahre auf mich zukommt.“Aber auch sie muss auf begleitend­e Freunde oder Familie verzichten: „Meine Mutter schaut im Livestream zu“, sagt die Studentin.

Alterspräs­ident zu sein fühlt sich würdig an, aber auch ein bisschen alt.

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