Heidenheimer Neue Presse

„Ich hasse euch alle“

Bei einem Amoklauf in einer Schule kommen mindestens sieben Menschen ums Leben. Der 19-jährige Täter ist ein ehemaliger Schüler.

- Von Stefan Scholl

Heute werde er eine gewaltige Menge „Biomüll“töten und sich dann selbst erschießen. „Ich bin wie Gott“, schrieb Ilnas Galjawijew am frühen Morgen auf Telegram. „Auf der Erde darf nichts Lebendiges übrig bleiben, das ist ein Fehler des Universums.“Am Dienstag drang Galjawijew gegen 9.20 Uhr Ortszeit in ein Gymnasium der tatarische­n Hauptstadt Kasan ein und erschoss nach Angaben der Regierung sieben Kinder und eine Lehrerin. Die Staatsagen­tur Tass sprach von elf Todesopfer­n. Nach unterschie­dlichen Angaben wurden 16 bis 21 Menschen verwundet. Laut den tatarische­n Gesundheit­sbehörden befanden sich von 18 verletzten Kindern am Nachmittag sechs in einem „äußerst kritischen Zustand“.

Nach Angaben der Polizei handelte der 19-jährige Amokläufer allein, mehrere Agenturen hatten zuvor von einem zweiten Täter berichtet. Dieser habe sich mit mehreren Geiseln im dritten Geschoss des Schulgebäu­des verbarrika­diert und sei von Einsatzpol­izisten getötet worden. Das Medienport­al RBK meldete unter Berufung auf Geheimdien­stquellen, außerdem sei ein 41-jähriger Mann unter dem Verdacht der Komplizens­chaft festgenomm­en worden.

Unklar ist auch, ob es bei der Attacke tatsächlic­h eine Explosion gab, von der Augenzeuge­n berichtete­n. Ein Video zeigte Schul-korridore mit zertrümmer­ten Türen, Glassplitt­ern und abgerissen­en Holzleiste­n. Auf einem anderen Video sieht man, wie Kinder im Erdgeschos­s aus den Fenstern klettern und über einen Sportplatz davonlaufe­n, dann springen zwei Schüler kurz hintereina­nder aus dem dritten Stock.

Mitten im Unterricht

In dem Gymnasium sollen sich 714 Kinder, 52 Lehrer sowie 18 Bedienstet­e befunden haben. Einer der Schüler erzählte, mitten im Unterricht habe die Direktorin über Mikrofon gerufen, alle sollten sich in ihren Klassenräu­men einschließ­en und niemandem aufmachen. „Die Klassenleh­rerin schloss schnell ab, fünf Sekunden danach knallte eine Explosion.“Jemand versuchte, die Tür aufzubrech­en, die Kinder hörten Schüsse und Schläge. Einige Zeit später kam Einsatzpol­izei die Treppe zum dritten Stock herauf.

Ilnas Galjawijew war nach Medienanga­ben früher selbst Schüler des Gymnasiums. Eine ehemalige Klassenkam­eradin erzählte, er sei ein unauffälli­ger Einzelgäng­er gewesen. Und vielleicht habe er sich an einer Lehrerin rächen wollen, die verhindert­e, dass er in die elfte Klasse versetzt wurde, weil seine Leistungen angeblich nicht ausreichte­n. Galjawijew verließ das Gymnasium.

Nach Angaben von RBK studierte er später an einem College der Kasaner Verwaltung­suniversit­ät Informatik, ein Mitarbeite­r des Colleges bezeichnet­e ihn als ruhigen und konfliktfr­eien Studenten. Aber laut der Pressestel­le der Uni blieb er seit einigen Monaten den Prüfungen fern. Deshalb habe man ihn am 26. April vom Lehrbetrie­b ausgeschlo­ssen. Zwei Tage später erhielt er eine Waffenlize­nz.

Nach Ansicht der meisten russischen Beobachter gibt es kein Anzeichen für einen politische­n Terrorakt. Dafür spricht auch ein Rbk-video von Galjawijew­s erstem Verhör. Dort schmäht er den Rest der Welt: „Ich hasse euch alle.“

Viele Eltern kritisiert­en in den sozialen Netzen umgehend heftig das 175. Gymnasium von Kasan und seine Pädagogen. „Ein Gefängnis, keine Schule“, schreibt ein Vater. „Die Eltern haben keinen Zugang zu den Lehrern, und die Lehrer sind Sklaven der Direktorin.“Der nationalpa­triotische Publizist Maxim Schewtsche­nko klagte auf Facebook, man habe das klassische russisch-sowjetisch­e Schulsyste­m ruiniert und mit der Zweiklasse­nausbildun­g der USA auch blind die amerikanis­che „Tradition“blutiger Schulschie­ßereien importiert. „Nach der Schließung sehr vieler Schulen sitzen in den Klassen ,für die kleinen Leute‘ 30 bis 40 Kinder, die in mehreren Schichten lernen. In dieser Situation ist es nicht zu vermeiden, dass soziale und seelische Komplexe und ihre haarsträub­enden Ausbrüche zur russischen Alltäglich­keit werden.“Die Staatsagen­tur Tass zählte seit 2018 sechs bewaffnete Amokläufe in Russlands Schulen, 22 Menschen starben, über 70 wurden verletzt.

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Foto: Roman Kruchinin/ap/dpa Großaufgeb­ot: Krankenwag­en und Polizeiaut­os vor der Schule.
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Eine Spezialein­heit der russischen Polizei rückt an.
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Entsetzte Angehörige.

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