Heidenheimer Neue Presse

Roman Joachim B. Schmidt: Kalmann (Folge 86)

- Fortsetzun­g folgt

Einmal wurde es aber noch unangenehm, denn Yrsa vom Laden fragte, ob man ausschließ­en könne, dass sich hier ein Eisbär rumtreibe, worauf Birna dann doch noch lächelte und sagte, dass sie das mit gutem Gewissen ausschließ­en könne. Jetzt schauten mich wieder ganz viele Leute an, und ich hörte auch meinen Namen im Gemurmel. Das gefiel mir nicht, und darum sagte ich, dass Eisbären von Grönland nach Island schwimmen können, aber das hörten nur diejenigen, die in meiner Nähe saßen. Unterstütz­en wollte mich aber niemand, und alle schauten wieder nach vorne.

Als die Veranstalt­ung beendet war, half ich Halldór, die Stühle wegzuräume­n. Nicht weil ich ihm helfen wollte, sondern weil auch Dagbjört mithalf. Sie fühlte sich wahrschein­lich als Lehrerin verpflicht­et. Sie belohnte mich mit einem Lächeln, sagte, es sei lieb von mir zu helfen, und ich war so stolz, dass ich gleich vier Stühle aufeinande­rstapelte und hinter die Bühne schleppte. Normalerwe­ise trägt man nämlich nur drei Stühle aufs Mal, aber wer stark ist, kann auch vier Stühle tragen.

Ich wunderte mich, dass Dagbjört überhaupt zu der Veranstalt­ung gekommen war, schließlic­h ging es um ihren Vater. Und sie war überhaupt nicht traurig.

„Hast du schon einen Hai gefangen?“, fragte sie mich.

„Nein, noch nicht“, sagte ich und war ein wenig beleidigt. „Ich habe ja erst wieder angefangen.“

„Ach so“, sagte Dagbjört und lächelte.

„Bist du nicht traurig?“, fragte ich sie.

Sie schnappte nach Luft.

„Wieso fragst du das?“„Weil dein Vater tot ist.“

„Kalli! Fass mal mit an!“Halldór stand auf der Bühne und wartete bei den Tischen auf mich. Bevor ich auf die Bühne klettern konnte, um ihm zu helfen, sagte Dagbjört: „Vielleicht lebt er ja noch.“„Das glaube ich nicht“, sagte ich.

„Kalmann!“, brüllte Halldór.

„Komm jetzt!“

Ich mag es nicht, wenn man mich anbrüllt. Schließlic­h führte ich mit Dagbjört ein ganz normales Gespräch. War er etwa eifersücht­ig?

„Wieso glaubst du das nicht?“, fragte Dagbjört und war irgendwie bleich.

Ich war verwirrt. Hatte sie denn nicht zugehört?

„Aber das Blut!“, sagte ich. „So einen Blutverlus­t … Hat Birna ja selber gesagt! Und Birna ist von der Polizei.“

Dagbjört stellte den Stuhl, den sie in den Händen hielt, wieder auf den Boden.

„Man hat ihn noch nicht gefunden“, sagte sie tonlos. „Kalli! Lass die arme Dagbjört in Ruhe!“

Ich warf Halldór einen Blick zu.

„Wem gehört eigentlich das Hotel, wenn Róbert tot ist?“, fragte ich Dagbjört. Eigentlich wollte ich sie das gar nicht fragen, aber irgendwie war eine Sicherung durchgebra­nnt, als mich Halldór so angebrüllt hatte.

„Ist schon gut!“, sagte Dagbjört in Richtung Halldór. „Kalmann ist nur neugierig.“Und zu mir: „Daran will ich gar nicht denken.“

„Dann bist du reich“, informiert­e ich sie.

Dagbjört schaute mich an, drehte sich um und ging. Ich schaute ihr hinterher. „Idiot!“, sagte Halldór.

Als Dagbjört den Saal verlassen hatte, packte ich einen Stuhl und schleudert­e ihn durch den ganzen Saal in Halldórs Richtung.

Der Stuhl prallte scheppernd an die Bühne, und ich sah noch, wie Halldór einen Sprung nach hinten machte, dann stürmte auch ich aus dem Saal und nahm Halldórs Gefluche gar nicht mehr wirklich wahr.

Erst als ich draußen war, blieb ich stehen, denn es waren noch immer einige Leute vor dem Gemeindeha­us versammelt und unterhielt­en sich, und ich erkannte auch Dagbjört, die bei ihnen stand und von Óttars Frau Ling umarmt wurde.

„Kalmann“, sagte der Sportlehre­r Marteinn. „Was hast du eigentlich im Hotel zu suchen gehabt, als die Spezialein­heit die Litauer verhaften wollte?“

Ich schaute ihn an. Alle, die bei ihm standen, schauten mich an. Mir wurde klar, dass die Veranstalt­ung hier draußen von ein paar wenigen weitergefü­hrt wurde. Es war wahrschein­lich besser, wenn ich nichts sagte, denn bisher war ich nur ausgelacht worden, wenn ich etwas gesagt hatte.

© Diogenes Verlag

Zürich

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