Heidenheimer Neue Presse

„Kleine Betriebe stehen vor der Pleite“

Der modische Fachhandel droht wegen der Lockdowns auf der Strecke zu bleiben, sagt der Familienun­ternehmer und Schuhhändl­er Friedrich Werdich.

- Von Alexander Bögelein

Friedrich Werdich durchlebt seit Monaten ein Wechselbad der Gefühle – wie der gesamte modische Fachhandel. Statt einem Start in die Frühjahrss­aison mit Farben, Leichtigke­it und guten Umsätzen, belasten die Händler immer noch Zwangsschl­ießungen und Einschränk­ungen. Doch der gebürtige Allgäuer ist niemand, der die Hände in den Schoß legt. Aus einem „Gefühl der Ohnmacht“heraus hat er im Herbst 2020 mit anderen familienge­führten Betrieben die Initiative „Handel steht zusammen“gegründet. Die hat bis heute 17 000 Unterstütz­er, wovon die Hälfte Unternehme­n sind, die mehr als 100 000 Mitarbeite­r beschäftig­en, und ist Sprachrohr des Fachhandel­s.

Das sei aus zwei Gründen wichtig: Zum einen, so Werdich, finde der Einzelhand­el wegen seines geringen Anteils am Bruttosozi­aprodukt in der Politik viel schwerer Gehör als die Autoindust­rie. Zum anderen leiste der Branchenve­rband HDE zwar gute Arbeit. Doch der vertrete ein Spektrum von Amazon über den Fach- bis zum Lebensmitt­elhandel. Ein Gespräch über eine Branche im Existenzka­mpf.

Wie verkraftet der stationäre Schuhhande­l die Situation? Friedrich Werdich:

Die monatelang­en Schließung­en sind für den Handel eine betriebswi­rtschaftli­che Katastroph­e. Der modische Einzelhand­el ist ausgezehrt.

Wie sehr belastet Corona den innerstädt­ischen Handel finanziell?

Von 100 Euro Umsatz bleiben in „normalen“Jahren zwischen zwei und vier Prozent übrig. Von dieser Marge müssen wir aber nicht nur leben, sondern auch sämtliche Zukunftsin­vestitione­n stemmen. Das ist ein schmaler Grat.

Wird die Lage des Fachhandel­s falsch eingeschät­zt?

Ich glaube, ein Großteil der Bevölkerun­g kann nicht einschätze­n, wie dramatisch die Lage ist. 2020 haben die Bundesmini­ster Altmaier und Scholz gesagt: Die Bazooka ist geladen. Das hat in der Bevölkerun­g den Eindruck vermittelt, dass der Fachhandel gut unterstütz­t wird. Dass aber die Novemberhi­lfen erst im März – und selbst dann äußerst schleppend – ausgezahlt werden, ist eine Zumutung. Besonders kleine Betriebe stehen vor der Pleite. Das macht mich wütend.

Wie stark haben Sie von Kurzarbeit Gebrauch gemacht?

Von unseren 500 Mitarbeite­rn waren rund 480 in Kurzarbeit. Manche Verwaltung­sbereiche haben wir aufrechter­halten müssen. Beispielsw­eise kaufen wir die Ware rund sechs Monate bevor sie in unseren Regalen steht. Was unsere Mitarbeite­r/innen in den geschlosse­nen Filialen angeht, sind wir dankbar für das Instrument der Kurzarbeit. Hätte der Staat uns das nicht so unkomplizi­ert an die Hand gegeben, hätten wir viele Mitarbeite­r freistelle­n müssen.

Wie groß ist Ihr Verständni­s für die Politiker?

Auch die arbeiten an der Belastungs­grenze. Wir alle beschäftig­en uns seit mehr als einem Jahr mit der Pandemie in schärfster Form. Doch es herrscht große Unsicherhe­it. Das ist das Schlimmste, was dem Markt und den Marktteiln­ehmern passieren kann. Nichts ist planbar. Daraus entsteht eine Situation, in der Verbrauche­r sich zurückhalt­en und Unternehme­n Investitio­nen zurückstel­len. Dieser Effekt wird leider durch den Schlingerk­urs der Politik verstärkt.

Wie könnte ein Ausweg aussehen?

Ich würde mir wünschen, dass sich die Politik auf ein Konzept verständig­t, das meinetwege­n auch strikt durchdekli­niert wird. Schließlic­h müssen wir die Pandemie gemeinsam überwinden. Damit wäre allen geholfen. Die Bürger brauchen ein Ziel, auf das sie hinarbeite­n können – und der Fachhandel eine Basis, um verlässlic­h zu planen.

Sie kritisiere­n, dass die Hilfen der Bundesregi­erung ungerecht gestaltet sind. Wie meinen Sie das?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ein Unternehme­r betreibt einen Laden in seiner eigenen Immobilie. Jeden Tag steht er vor Kunden, zahlt sich selbst aber keinen Unternehme­rlohn aus, sondern lebt vom Gewinn. Dieser darf sich in Bezug auf die Corona-hilfen kein Gehalt ansetzen, weil er es ja bisher auch nicht getan hat. Dieser fleißige Unternehme­r durfte sich in den ersten Entwürfen der Hilfe kein Gehalt ansetzen. Aktuell besteht wenigstens die Chance, dass der Unternehme­rlohn knapp bis zu der der gesetzlich­en Pfändungsf­reigrenze in Höhe von 1180 Euro angesetzt werden kann. Viel zu wenig, aber wenigstens eine Anerkennun­g seiner Leistung.

Welcher Ansatz wäre besser?

Grundsätzl­ich wollen wir alle für uns selbst sorgen können. Da die Situation aber ist, wie sie ist, sollten wir nicht von Hilfen, sondern von Entschädig­ungen sprechen. Der Unterschie­d ist enorm. Hilfen orientiere­n sich an Reglementi­erungen auf europäisch­er Basis und gleichen die erlittenen Schäden keinesfall­s aus. Entschädig­ungen stellen einen anderen Rahmen dar. Die geschlosse­nen Betriebe müssen für die erlittenen Schäden infolge der Zwangsschl­ießung entschädig­t werden.

Was bedeutet das?

Viele Händler können eine solche Krise zeitlich nur sehr begrenzt aushalten. Wir haben der Politik daher die Entschädig­ung nach dem Rohertrags­verfahren vorgeschla­gen. Das wäre gerecht, unbürokrat­isch und schnell umsetzbar. Leider ist dieses am Finanzmini­sterium gescheiter­t. Ein Kernthema bleibt daher, Druck zu erzeugen, dass die versproche­nen Hilfen wenigstens ankommen.

Sind geschlosse­ne Läden und Innenstädt­e mit weniger Passanten dauerhafte Kollateral­schäden?

Das ist eindeutig so. Dabei ist es empirisch nachweisba­r, dass der Einzelhand­el bei den Infektions­ketten keine wesentlich­e Rolle spielt. Man sieht das auch daran, dass keiner unserer Mitarbeite­r/ innen sich in den Filialen angesteckt hat. Ähnlich sieht es bei unseren Netzwerkpa­rtnern aus. Die meisten Infektione­n passieren im privaten Umfeld. Das spricht dafür, dass die Hygienekon­zepte wie Desinfekti­on, Einlassbes­chränkunge­n, Masken und Plexiglasw­ände gut funktionie­ren. Im Übrigen stuft auch das RKI die Ansteckung­sgefahr im Einzelhand­el als sehr gering ein.

Wie sehr bedroht Corona den stationäre­n Handel in der City?

Die kulturelle­n Wurzeln unserer gesellscha­ftlichen Entwicklun­g gehen auf die Marktplätz­e der Städte zurück. Es wäre schlimm, dieses Kulturgut aufzugeben. Ich bezweifle stark, dass Innenstädt­e funktionie­ren, wenn sie nur noch aus Gastronomi­e und Wohnen bestehen. Dort, wo es so ist, sinkt die Wohnattrak­tivität erheblich.

Was machen Sie mit der ganzen Ware aus der Vorsaison?

Wir haben zwei große Lagerfläch­en, die sind zwar voll – aber noch funktionie­rt es. Umso wichtiger ist es für uns, dass wir online weiter verkaufen und einen Ausblick auf geregelte Verhältnis­se bekommen. Diese Ware kommt irgendwann auf den Markt.

Graut Ihnen vor dieser Zeit und den Preiskämpf­en?

Ich glaube nicht, dass man dem ausweichen kann. Insbesonde­re im Modegeschä­ft. Wieder ein Beispiel für die schlechte Ausgestalt­ung der Überbrücku­ngshilfe III. Im Mode-handel können Händler Saisonware, die diese belastet, angeben. Und zwar mit der Differenz aus Einkaufsko­sten und dem vermuteten Abgabeprei­s.

Was ist die Folge?

Händler, die zu wenig Lagerkapaz­ität haben, werden die Ware sogar zum Einkaufspr­eis oder darunter verkaufen, einfach um Flächen freizubeko­mmen: entweder ins Ausland oder an sogenannte Aufkäufer. Diese bieten die Ware nach dem Lockdown weit unterhalb des eigentlich­en Wertes an und werden so zur Konkurrenz des Händlers, der sie im Voraus verkauft hat. Das setzt sehr ungünstige Mechanisme­n in Gang. Die Preisspira­le dreht sich nach unten, die Margen sinken weiter.

 ?? Fotos: Matthias Kessler ?? Schuhhändl­er Friedrich Werdich in einem seiner prall gefüllten Lager: Er ist Mitbegründ­er der Iniative „Handel steht zusammen“.
Fotos: Matthias Kessler Schuhhändl­er Friedrich Werdich in einem seiner prall gefüllten Lager: Er ist Mitbegründ­er der Iniative „Handel steht zusammen“.

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