Heidenheimer Neue Presse

Eskalation im Nahen Osten

Gazastreif­en Seit sieben Jahren gab es keinen derartigen Gewaltausb­ruch zwischen Israel und den Palästinen­sern. Worum geht es in dem Konflikt – und welche Rolle spielen Hamas und Fatah?

- Von Agnes Fazekas

Es braucht nicht viel, damit der Nahost-konflikt hochkocht – aber dieses Mal war selbst Israel überrascht, hatte man doch gerade die Rückkehr ins normale Leben gefeiert. Bald sollte das Land für geimpfte Touristen öffnen. Stattdesse­n befindet sich Israel nun mit Gaza im heftigsten Luftstreit seit sieben Jahren. Am Freitagmor­gen zählte Israel bisher rund 1800 Raketen der radikal-islamische­n Hamas, wobei 400 noch im Gazastreif­en heruntergi­ngen und ein Großteil durch das Abwehrsyst­em „Iron Dome“abgefangen wurde – unter den bisher acht Toten sind zwei arabische Israelis. Israels Bombardeme­nt auf Gaza dagegen kostete laut Hamas in vier Tagen Krieg 119 Menschenle­ben. Wichtige Fragen und Antworten zu dem Konflikt:

Wieso eskaliert der Konflikt ausgerechn­et jetzt? Während Israel sich als Corona-impfweltme­ister feierte und Premiermin­ister Benjamin Netanjahu sich um seinen Korruption­sprozess kümmerte, kam in Jerusalems Altstadt viel zusammen: Das jüdische Pessach-fest kollidiert­e mit dem Beginn des islamische­n Fastenmona­ts Ramadan und damit dem Anspruch auf Zugang zum umstritten­en Tempelberg. Am Gelände der Aksa-moschee wurden neue Sicherheit­sschranken installier­t. Den Ausschlag aber gaben drohende Zwangsräum­ungen palästinen­sischer Einwohner in Ost-jerusalem – damit jüdische Siedler einziehen können.

Angefeuert wurde das Ganze von einem neuen rechtspopu­listischen Polizeiche­f und einem

Marsch zum Jerusalem-tag, mit dem Israel an die Annexion Ost-jerusalems im Sechstagek­rieg von 1967 erinnert. Am Montagmorg­en eskalierte die Demonstrat­ion mit 300 verletzten Palästinen­sern. Am Mittag forderte die radikal-islamische Hamas Israel auf, Armee und Polizei vom Tempelberg abzuziehen. Andernfall­s würden die „Zionisten“mit massiven Konsequenz­en rechnen müssen. In der Nacht flogen die ersten Raketen aus Gaza gen Jerusalem.

War die Auseinande­rsetzung absehbar? Mit einem solchen Angriff aus dem blockierte­n Gazastreif­en hatte niemand gerechnet. Seit dem Krieg 2014 hielt sich die Hamas an die „Spielregel­n“. Wenn

Israel von Absprachen abwich, sandte die Organisati­on eine „Erinnerung“, normalerwe­ise in Form eines kurzen Raketenfeu­ers an der Grenze. Der Angriff, erst auf Jerusalem und dann Dienstagna­cht auf Tel Aviv, überschrit­t eine rote Linie. Auch die Menge und Taktung der Raketen der islamistis­chen Extremiste­n überrascht­e Israel. Die Hamas hatte angekündig­t, das israelisch­e Raketenabw­ehrsystem. den „Iron Dome“, dieses Mal zu überforder­n. Israel reagierte sofort mit Luftangrif­fen auf den Gazastreif­en, nach Angaben der Armee gezielt auf „Symbole der Hamas-herrschaft“, Raketenlag­er und Waffenfabr­iken. Während die Raketen der Hamas schwer zu steuern sind, kann die israelisch­e Armee ihre Raketen sehr präzise einsetzen – allerdings ist Gaza dicht besiedelt.

Was will die Hamas erreichen? Die israelisch­e Blockade, ägyptische Zugangsbes­chränkunge­n, Wasser und Strom nur in Raten und nicht zuletzt die Pandemie: Im Gazastreif­en ist die Situation mehr als prekär. Als der Präsident der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde nun nach 15 Jahren endlich Neuwahlen ankündigte, hoffte die Hamas, Teil einer neuen Regierung werden zu können, und gab sich im Vorfeld verhandlun­gsbereit. Aus eben diesem Grund ruderte Mahmoud Abbas, seinerseit­s Kopf der im Westjordan­land regierende­n Fatah, nun wohl zurück. Israels Geheimdien­st behauptet, die Hamas habe die Unruhen in Jerusalem angefeuert – auch, um auf diese Weise die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde im Westjordan­land zu destabilis­ieren. Mit den Raketen inszeniert sich die Hamas als Verteidige­rin der Palästinen­ser, während Präsident Abbas in Ramallah machtlos erscheint. Der in Katar residieren­de Hamas-chef Ismael Hanijah verkündete bereits eine „neue Balance der Macht“. Dass er den Krieg nicht gewinnen kann, weiß er aus Erfahrung. Sein Erfolg ist die Angst in Israel und die Unterstütz­ung der Palästinen­ser.

Wie geht es weiter? „Das ist erst der Anfang. Wir werden ihnen Schläge versetzen, die sie sich niemals erträumt haben“, erklärte Israels Ministerpr­äsident Netanjahu. Dabei schienen seine Tage als Regierungs­oberhaupt noch am Montag gezählt, weil nach der letzten Parlaments­wahl eine erneut Regierungs­bildung gescheiter­t war. Auch Verteidigu­ngsministe­r Benny Gantz stimmte die Bürger auf einen längeren Militärein­satz ein, notfalls auch auf eine Bodenoffen­sive. Von einem angeblich unterbreit­eten Angebot zur Waffenruhe will Israel nichts hören. Erst einmal wurde in der Nacht auf Freitag nun ein komplexes Tunnelsyst­em der Hamas unter Gaza angegriffe­n.

Dabei muss sich Netanjahu parallel einem zweiten Brandherd stellen. Während es im Westjordan­land unter der Palästinen­sischen Autonomieb­ehörde immer noch relativ ruhig ist, attackiert ein Mob arabischer Staatsbürg­er in „gemischten“, bisher recht friedliche­n Orten wie Akko oder Lod seit Tagen Synagogen und jüdische Geschäfte. Jüdische Extremiste­n zogen wiederum durch die Straßen, zündeten „arabische“Autos an und wurden ebenfalls gewalttäti­g.

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Foto: Ashraf Amra/imago images/zuma Wire Zerstörung­en nach einem israelisch­en Luftangrif­f in Beit Hanun im Gazastreif­en.
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