Millionenlöcher und eine Extra-kasse
Justiz Neues Kapital im Krimi um das inzwischen geschlossene Krankenhaus „14 Nothelfer“in Weingarten. Ab Montag steht der frühere Stadtkämmerer vor Gericht. Ihm wird Untreue vorgeworfen.
Das kleine städtische Krankenhaus im oberschwäbischen Weingarten war einst beliebt wegen seiner familiären Atmosphäre – trotz großer Klinik-konkurrenz im benachbarten Ravensburg. Heute ist das Krankenhaus dicht. Die Planinsolvenz fürs „14 Nothelfer“läuft, dazu ein Bieterverfahren zum Verkauf.
Das Krankenhaus hat die Umwandlung in eine Gmbh 2008 hinter sich, einen Finanzskandal 2012 mit einem in fünf Jahren aufgehäuften 14-Millionen-defizit, Strafanzeigen, Ermittlungen. 2013 folgte der Verkauf ans Klinikum Friedrichshafen. Danach gab es neue Investitionen, aber auch weitere Defizite, schließlich das Aus 2020.
Vorbei ist der Krimi um die Klinik damit nicht. Am Montag soll vor dem Landgericht Ravensburg der Prozess gegen den früheren Leiter des Finanzdezernats der Stadt Weingarten beginnen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem längst pensionierten 74-Jährigen Untreue in einem besonders schweren Fall vor. Anton B. soll mit dem Ausgleich von Millionendefiziten der Klinik über eine Sonderkasse einen Millionenschaden für die Stadtkasse angerichtet haben, sagt die Anklage.
B. arbeitete von 1973 bis 2014 als Beamter der Stadt Weingarten in der Kämmerei, ab 2010 als Dezernatsleiter. Er hatte die Aufsicht über die Stadtkasse. Laut Anklage hat er in Zusammenhang mit dem Krankenhaus und einer
Sonderkasse zum Abwickeln der Klinikzahlungen „pflichtwidrig gehandelt“. Unter anderem soll er seinen Hinweis-, Informationsund Überwachungspflichten nicht nachgekommen sein.
B.s Verteidiger, die Anwälte Marco Mansdörfer und Franz-josef Schillo, halten die Vorwürfe für verjährt. Das habe man gerügt, so Schillo. Spätestens mit der Pensionierung Anfang 2014 habe die Verjährung begonnen, je nach Vorwurf noch früher. Sollte nach Auffassung des Gerichts bei B. aber keine Verjährung eingetreten sein, dann bei den anderen Involvierten, so Schillo. Deshalb hätten der Oberbürgermeister und der Ex-geschäftsführer der
Krankenhausgesellschaft kein Aussageverweigerungsrecht mehr und müssten als Zeugen aussagen.
Ermittelt worden war auch gegen Weingartens parteilosen OB Markus Ewald. Nachdem die Gemeindeprüfungsanstalt in einem Bericht über den Finanzskandal beim 160-Betten-krankenhaus der früheren Geschäftsführung, den Kontrollgremien und der Kämmerei „totales Versagen“bescheinigt hatte, gab es Strafanzeigen. 2015 wurden diese Ermittlungen endgültig eingestellt.
Strafrechtlich hatte sich der OB, der Aufsichtsratsvorsitzende der Klinik-gmbh, nichts zuschulden kommen lassen, stellte die
Staatsanwaltschaft fest. Versäumnisse ja, aber kein vorsätzliches Handeln zum Nachteil des Krankenhauses, hieß es. Der Ex-geschäftsführer, der die Schieflage der Klinikgesellschaft lange Zeit unter der Decke halten konnte, blieb ebenfalls straffrei: Pflichtverletzung ja, Untreue nein.
Übrig ist Ex-kämmerer B. Schon 2017 wurde Anklage erhoben. Terminiert wurde dann lange nicht. Es handele sich um ein komplexes und umfangreiches Verfahren, sagte ein Sprecher des Landgerichts Ravensburg. Das Gericht sei mit Haftsachen ausgelastet gewesen, die Vorrang haben. Zuletzt, im Januar, wurde wegen Corona verschoben.
Stadtrat nicht informiert?
B. wird angekreidet, dass er den Stadtrat nicht über die Führung der Sonderkasse informiert hat und der Stadtrat der Kasse auch nicht zugestimmt hat. Der OB und auch Krankenhausausschuss und Krankenhausbeirat mit den hier vertretenen Stadträten wurden aber informiert. Dass das nicht ausreichen soll, kritisiert die Verteidigung. Andere Südwest-kommunen hätten die Führung ihrer Sonderkassen zudem auch so praktiziert.
Die 1. Große Strafkammer hat 15 Verhandlungstage bis September angesetzt. Kein einfacher Sachverhalt eben. Mit möglichen Konsequenzen für alle Stadtverwaltungen, sagt Verteidiger Schillo: Es handele sich um die erste Anklage einer Staatsanwaltschaft in einem derartigen Fall. „Sollte es zu einer in Deutschland erstmaligen Verurteilung kommen, hätte dies grundlegende Auswirkungen auf die Beteiligungs- und Verwaltungspraxis aller deutschen Kommunen.“