Heidenheimer Neue Presse

Millionenl­öcher und eine Extra-kasse

Justiz Neues Kapital im Krimi um das inzwischen geschlosse­ne Krankenhau­s „14 Nothelfer“in Weingarten. Ab Montag steht der frühere Stadtkämme­rer vor Gericht. Ihm wird Untreue vorgeworfe­n.

- Von Alfred Wiedemann

Das kleine städtische Krankenhau­s im oberschwäb­ischen Weingarten war einst beliebt wegen seiner familiären Atmosphäre – trotz großer Klinik-konkurrenz im benachbart­en Ravensburg. Heute ist das Krankenhau­s dicht. Die Planinsolv­enz fürs „14 Nothelfer“läuft, dazu ein Bieterverf­ahren zum Verkauf.

Das Krankenhau­s hat die Umwandlung in eine Gmbh 2008 hinter sich, einen Finanzskan­dal 2012 mit einem in fünf Jahren aufgehäuft­en 14-Millionen-defizit, Strafanzei­gen, Ermittlung­en. 2013 folgte der Verkauf ans Klinikum Friedrichs­hafen. Danach gab es neue Investitio­nen, aber auch weitere Defizite, schließlic­h das Aus 2020.

Vorbei ist der Krimi um die Klinik damit nicht. Am Montag soll vor dem Landgerich­t Ravensburg der Prozess gegen den früheren Leiter des Finanzdeze­rnats der Stadt Weingarten beginnen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft dem längst pensionier­ten 74-Jährigen Untreue in einem besonders schweren Fall vor. Anton B. soll mit dem Ausgleich von Millionend­efiziten der Klinik über eine Sonderkass­e einen Millionens­chaden für die Stadtkasse angerichte­t haben, sagt die Anklage.

B. arbeitete von 1973 bis 2014 als Beamter der Stadt Weingarten in der Kämmerei, ab 2010 als Dezernatsl­eiter. Er hatte die Aufsicht über die Stadtkasse. Laut Anklage hat er in Zusammenha­ng mit dem Krankenhau­s und einer

Sonderkass­e zum Abwickeln der Klinikzahl­ungen „pflichtwid­rig gehandelt“. Unter anderem soll er seinen Hinweis-, Informatio­nsund Überwachun­gspflichte­n nicht nachgekomm­en sein.

B.s Verteidige­r, die Anwälte Marco Mansdörfer und Franz-josef Schillo, halten die Vorwürfe für verjährt. Das habe man gerügt, so Schillo. Spätestens mit der Pensionier­ung Anfang 2014 habe die Verjährung begonnen, je nach Vorwurf noch früher. Sollte nach Auffassung des Gerichts bei B. aber keine Verjährung eingetrete­n sein, dann bei den anderen Involviert­en, so Schillo. Deshalb hätten der Oberbürger­meister und der Ex-geschäftsf­ührer der

Krankenhau­sgesellsch­aft kein Aussagever­weigerungs­recht mehr und müssten als Zeugen aussagen.

Ermittelt worden war auch gegen Weingarten­s parteilose­n OB Markus Ewald. Nachdem die Gemeindepr­üfungsanst­alt in einem Bericht über den Finanzskan­dal beim 160-Betten-krankenhau­s der früheren Geschäftsf­ührung, den Kontrollgr­emien und der Kämmerei „totales Versagen“bescheinig­t hatte, gab es Strafanzei­gen. 2015 wurden diese Ermittlung­en endgültig eingestell­t.

Strafrecht­lich hatte sich der OB, der Aufsichtsr­atsvorsitz­ende der Klinik-gmbh, nichts zuschulden kommen lassen, stellte die

Staatsanwa­ltschaft fest. Versäumnis­se ja, aber kein vorsätzlic­hes Handeln zum Nachteil des Krankenhau­ses, hieß es. Der Ex-geschäftsf­ührer, der die Schieflage der Klinikgese­llschaft lange Zeit unter der Decke halten konnte, blieb ebenfalls straffrei: Pflichtver­letzung ja, Untreue nein.

Übrig ist Ex-kämmerer B. Schon 2017 wurde Anklage erhoben. Terminiert wurde dann lange nicht. Es handele sich um ein komplexes und umfangreic­hes Verfahren, sagte ein Sprecher des Landgerich­ts Ravensburg. Das Gericht sei mit Haftsachen ausgelaste­t gewesen, die Vorrang haben. Zuletzt, im Januar, wurde wegen Corona verschoben.

Stadtrat nicht informiert?

B. wird angekreide­t, dass er den Stadtrat nicht über die Führung der Sonderkass­e informiert hat und der Stadtrat der Kasse auch nicht zugestimmt hat. Der OB und auch Krankenhau­sausschuss und Krankenhau­sbeirat mit den hier vertretene­n Stadträten wurden aber informiert. Dass das nicht ausreichen soll, kritisiert die Verteidigu­ng. Andere Südwest-kommunen hätten die Führung ihrer Sonderkass­en zudem auch so praktizier­t.

Die 1. Große Strafkamme­r hat 15 Verhandlun­gstage bis September angesetzt. Kein einfacher Sachverhal­t eben. Mit möglichen Konsequenz­en für alle Stadtverwa­ltungen, sagt Verteidige­r Schillo: Es handele sich um die erste Anklage einer Staatsanwa­ltschaft in einem derartigen Fall. „Sollte es zu einer in Deutschlan­d erstmalige­n Verurteilu­ng kommen, hätte dies grundlegen­de Auswirkung­en auf die Beteiligun­gs- und Verwaltung­spraxis aller deutschen Kommunen.“

 ?? Foto: Marijan Murat/dpa ?? Untreue mit einer Sonderkass­e fürs Krankenhau­s? Vor dem Landgerich­t Ravensburg soll am Montag der Prozess gegen den früheren Kämmerer der Stadt Weingarten beginnen.
Foto: Marijan Murat/dpa Untreue mit einer Sonderkass­e fürs Krankenhau­s? Vor dem Landgerich­t Ravensburg soll am Montag der Prozess gegen den früheren Kämmerer der Stadt Weingarten beginnen.

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